Bonn (dpa) - Die deutsche Regierung hat am Donnerstag erstmals den Dalai Lama offiziell empfangen und damit heftigen Protest der chinesischen Regierung ausgelöst. Der deutsche Auenminister Klaus Kinkel empfing das geistliche Oberhaupt der Tibeter in seinem Amtsgebäude in Bonn zu einer ausführlichen Unterredung. Ein ranghoher Vertreter Pekings sagte deswegen ein geplantes Gespräch mit Kinkel ab.
Der Dalai Lama versicherte Kinkel nach Angaben des Auenministeriums, da er eine echte Selbstverwaltung für seine 1951 von China besetzte Heimat anstrebe. Sein Ziel sei nicht die Loslösung Tibets vom Staatsverbund der Volksrepublik China, sondern die Gewährung von Autonomierechten besonders im kulturellen, e thnischen und religiösen Bereich, erläuterte der Dalai Lama.
Kinkel betonte nach diesen Angaben, da Tibet ein Teil Chinas sei und die deutsche Regierung .selbstverständlich die territoriale Integrität Chinas nicht in Frage" stelle. Gleichzeitig dringe sie gegenüber Peking auf Beachtung der Menschenrechte und Gewährung religiöser und kultureller Autonomie. In diesem Sinne werde sich Bonn auch weiterhin einsetzen, versicherte Kinkel seinem Gast.
Kinkel betonte aber, da die deutsche Regierung groen Wert auf ihre .guten und intensiven Beziehungen" zu China lege. Vor diesem Hintergrund, so erklärte später Kinkels Sprecher Michael Gerdts, bedauerte der Auenminister auch die Absage des stellvertretenden chinesischen Planungschefs Ye Qing, der sich derzeit in Bonn aufhält.
Ye hatte ein geplantes Gespräch mit Kinkel kurzfristig platzen lassen. Zwar habe es dafür keine Begründung gegeben, doch es bestehe ein Zusammenhang mit dem Empfang für denDalai Lama, meinte Gerdts.
In Peking warnte ein Sprecher des chinesischen Auenministeriums Bonn vor einer Beeinträchtigung der Beziehungen. Die deutsche Regierung dürfe keine Aktivitäten des Dalai Lama zulassen, die darauf abzielten, Tibet von China abzutrennen, verlangte er. Schon in der vergangenen Woche hatte der chinesische Botschafter in Bonn gegen das Treffen protestiert.
Vor dem Gespräch mit Kinkel wollte der Dalai Lama seinem Gastgeber als traditionelles Zeichen der Wertschätzung einen weien Schal umhängen. Kinkel entzog sich jedoch dieser Geste und nahm das Tuch in die Hände. Damit habe der Auenminister das Gastgeschenk nicht geringschätzen wollen, sondern sei seiner Gewohnheit gefolgt, betonte sein Sprecher später.
Auf dem Programm des Dalai Lama standen auch Gespräche mit Vertretern der politischen Parteien. Am Morgen war er mit Mitgliedern des Parlamentsausschusses für Menschenrechte zusammengetroffen. Im Anschlu daran wurde mitgeteilt, da der Dalai Lama am 19. Juni an einem öffentlichen Hearing dieses Gremiums zur Lage in Tibet teilnehmen werde.