Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die europäische Öffentlichkeit ist zu Recht beunruhigt über die Fälle von Plutoniumschmuggel in unseren Ländern. In Deutschland wurden im Jahre 1991 41 Fälle aufgedeckt, im Jahre 1993 bereits 241 Fälle - eine rasante Steigerung. Im ersten Halbjahr 1994 haben wir einen leichten Rückgang der Zahlen zu verzeichnen. Dies bedeutet jedoch keine Minderung der Bedrohung, denn im August dieses Jahres ist in Deutschland erstmals waffenfähiges Material festgestellt worden. Damit stehen wir nicht nur vor einer neuen Form der organisierten Kriminalität. Durch die Verbreitung von spaltbarem waffenfähigem Material wächst auch die Bedrohung, der wir ausgesetzt sind.
Die Nuklearkriminalität bedroht ja nicht nur individuelle Rechte wie das Leben, die Gesundheit oder das Eigentum. Die Nuklearkriminalität eröffnet im schlimmsten Fall sogar die Möglichkeit zu automarer Erpressung und kann damit zu einem Anschlag auf die Handlungsfreiheit von Staaten werden. Ist dadurch die einzelstaatliche Souveränität von atomarer Erpressung möglicherweise nicht mehr bedroht als von der Übertragung polizeilicher Hoheitsrechte auf die Europäische Gemeinschaft? Wir in der Fraktion der Europäischen Volkspartei sind davon überzeugt, da die Europäische Union sich aktiv einschalten mu in den Schmuggel von spaltbarem Material. Es mu deutlich werden, da es die Atommafia nicht nur mit den Einzelstaaten zu tun hat, sondern mit der Union insgesamt und da die gesamte Europäische Union ihr entschlossen entgegentritt. Die Union hat auch nach dem Maastrichter Vertrag Handlungsmöglichkeiten, die jedoch noch nicht ausgeschöpft sind. Wir verfügen bei Europol über eine Antidrogeneinheit. Warum denn nicht
auch über eine Antiplutoniumeinheit? Die Bedrohung durch den Plutoniumschmuggel ist mindestens ebenso gro wie die Bedrohung durch den Drogenschmuggel.
Polizeiliche Zusammenarbeit ist nach dem Vertrag eine Angelegenheit von gemeinsamem Interesse. Deswegen käme es jetzt darauf an, in dem Plutoniumschmuggel eine - wie es im Vertrag festgehalten ist - besonders schwerwiegende Form der international organisierten Kriminalität zu sehen und dagegen vorzugehen, das hei t den Informationsaustausch und die Analyse, die auf der Grundlage des Maastrichter Vertrages möglich ist, sofort zu beginnen. Au erdem sollte nicht zuletzt im Hinblick auf die Revisionskonferenz von 1996 geprüft werden, ob die polizeiliche Zusammenarbeit in diesem Bereich nicht Teil des Gemeinschaftshandelns werden sollte. Dies ist bereits jetzt möglich im Bereich des Asylrechts und bei internationalen Betrügereien. Und wenn das für internationale Betrügereien möglich ist, dann mu es für einen solch schwerwiegenden Vorgang wie den Schmuggel von spaltbarem Material erst recht möglich sein.
Ich denke, da die polizeiliche Zusammenarbeit in diesem Bereich auch eine Chance für Europa darstellt. Es gibt wenige Bereiche, in denen die Notwendigkeit europäischer Kooperation so plausibel, so notwendig und von den Bürgern so akzeptiert ist, wie bei der Kriminalitätsbekämpfung. Deswegen sollte die Europäische Union sich entschlie en, den Plutoniumschmuggel energisch zu bekämpfen, und zwar nicht mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten, sondern mit Höchstgeschwindigkeit!