Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Kairoer Konferenz war ein Erfolg. Trotz aller Störfeuer der Traditionalisten aus den verschiedenen Lagern, angefangen vom Vatikan über die islamischen Fundamentalisten bis hin sogar zu terroristischer Gewaltandrohung hat sich mit gro er Macht eines herauskristallisiert: Die Rolle der Frauen und die Rechte der weiblichen Bevölkerungshälfte sind der Schlüssel für jegliche Entwicklung. Diese insbesondere in bezug auf die Bevölkerungspolitik an sich logische Schlu folgerung hat sich ja im Schlu dokument der Weltbevölkerungskonferenz zum ersten Mal in dieser Deutlichkeit niedergeschlagen. Aber bereits 1993 im Weltbevölkerungsbericht der Vereinten Nationen wird die Ausstattung der Frauen mit mehr Macht, mit gezielten Bildungsangeboten, mit qualifizierter Gesundheitsvorsorge und existenzsichernden Beschäftigungsmöglichkeiten gefordert.
Die Prognosen der UNO sagen für das Jahr 2025 bereits eine Weltbevölkerung von 8,5 Mrd. Menschen voraus. Diese kann noch sehr viel schneller zunehmen, wenn die Ma nahmen, die jetzt im Aktionsplan gefordert wurden, nicht in enger Zusammenarbeit zwischen den Industriestaaten und den Ländern des Südens umgesetzt werden. Ich erinnere daran, da es die Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit der Konferenz von Rio bis heute versäumt haben, die 3 Mrd. ECU freizugeben. Der Mythos, da Bevölkerungswachstum allein das Problem des Südens ist, verschleiert doch auch, da wir mit unseren Überkonsum und mit unseren verschwenderischen Lebensstil genau dies mit derselben Konsequenz abbauen mü ten, um der Weltbevölkerung die Zukunft zu sichern. Ich bedaure sehr, da die deutsche Ratspräsidentschaft in Person von Innenminister Kanther in diesem Kontext in Kairo eine sehr unglaubwürdige Position vertreten hat. Von den Medien wurde ja kritisiert, da ein Vater von sechs Kindern da kein Recht hätte, Kinderverzicht zu fordern.
Für mich als Politikerin ist allerdings die Grenze der Glaubwürdigkeit überschritten, wenn im Haushalt der Bundesrepublik für Entwicklung und Zusammenarbeit nur 0,3% angesetzt werden, statt 0,7%, wie es der freiwilligen Selbstverpflichtung der UNO gegenüber entspräche. Die Europäische Union mu hier in Zukunft sehr viel glaubhafter auftreten, und auch die Kommission sollte sich auf solchen wichtigen Konferenzen nicht durch Beamte vertreten lassen, sondern durch politisch Verantwortliche im richtigen Ressort.
Die nächsten Gelegenheiten sind der Weltsozialgipfel in Kopenhagen im Frühjahr und die Weltfrauenkonferenz im Herbst 1995 in Peking. Dort müssen bereits erste Ergebnisse aus dem Aktionsplan auf dem Tisch liegen. Reden allein nützt hier nichts, wenn es nicht gelingt, den Forderungen auch in finanzieller Hinsicht nachzukommen und die Mittel bereitzustellen, um eine Entwicklung in den Griff zu bekommen, die uns allen sonst über den Kopf wächst.