BERICHT des Untersuchungsausschusses zur Ausbreitung des organisierten Verbrechens im Zusammenhang mit dem Drogenhandel in den Ländern der Europäischen Gemeinschaft
Berichterstatter: Herr Patrick COONEY
INHALT
EMPFEHLUNGEN DES UNTERSUCHUNGSAUSSCHUSSES
PRÄAMBEL
VORWORT
EINLEITUNG
DAS AUSMASS DES PROBLEMS IN DER GEMEINSCHAFT
VORPRODUKTE, WESENTLICHE CHEMIKALIEN UND CHEMISCHE STOFFE
DROGENMISSBRAUCH
DAS NETZ DER VERBRECHERSYNDIKATE
Mafia
Camorra
'Ndrangheta
Yakusas
Triaden
Die türkischen Clans
Sonstige ethnische Clans
Organisierte Motorradbanden
Polnische Organisationen
RAUSCHGIFT-HANDELSSTRASSEN
Balkanroute
Afrika
Mittel- und Südamerika
GESETZLICHE BESTIMMUNGEN
AUFBAU DER STRAFVERFOLGUNGSBEHÖRDEN
Nationale Zoll- und Polizeibehörden
Rolle der Drogenverbindungsbeamten
Interpol
Zollkooperationsrat
DROGENPROFITE UND GELDWÄSCHE
POLITISCHE INSTITUTIONEN, KRIMINELLE ORGANISATIONEN UND DROGEN-
HANDEL
BEITRAG DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFT ZUM KAMPF GEGEN DEN DROGEN-
HANDEL
Empfehlungen für die Zukunft
MINDERHEITSEMPFEHLUNGEN
VORWORT
Die Entscheidung des Europäischen Parlaments vom 24. Januar 1991, dem ursprünglich von 142 Unterzeichnern unterstützten Vorschlag von Herrn Luigi COLAJANNI zu folgen und einen Untersuchungsausschu einzurichten, belegt die Besorgnis der Mitglieder über die Auswirkungen der organisierten Drogenkriminalität in der Europäischen Gemeinschaft.
Anla zu Besorgnis bietet nicht nur der Schaden, den der Drogenmi brauch in vielen Teilen der europäischen Gesellschaft verursacht - insbesondere bei der Jugend in Gro städten mit hoher Arbeitslosenrate -, sondern auch die Bedrohung der demokratischen Institutionen und Regierungen durch die organsierte Drogen- kriminalität.
Die Anfälligkeit der schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft für Manipulationen durch skrupellose organisierte Drogenbanden stellt eine potentielle Gefahr für die gesamte Gesellschaft dar. Der Auftrag an den Ausschu , die Beziehung zwischen Drogenhandel und organisiertem Verbrechen aufzudecken, ist eine komplexe, anspruchsvolle und wichtige Aufgabe. Einfache Lösungen gibt es in diesem Zusammenhang nicht.
Nicht nur Drogenabhängige sind Opfer verbrecherischen Handelns; unsere ganze Gesellschaft ist in zunehmenden Ma e der Kriminalität ausgesetzt und zahlt bereits einen hohen Preis für das Drogenproblem. Kein Verantwortlicher kann die Bedrohung unserer Gesellschaft durch die Drogenkartelle mehr leugnen. In der Europäischen Gemeinschaft geht bereits mehr als die Hälfte der Festnahmen auf Drogendelikte zurück. Das Europäische Parlament, das dazu gewählt wurde, der Meinungsvielfalt der europäischen Bürger Ausdruck zu verleihen, kann zu einer derart fundamentalen Frage nicht schweigen.
Der eigentliche Auftrag wurde dem Untersuchungsausschu im März 1991 erteilt. Dieses Thema sowie weitere Aspekte des Drogenproblems waren bereits in anderen Institutionen und in anderem Zusammenhang Gegenstand von Untersuchungen. Der Ausschu will daher keineswegs in anderem Rahmen geleistete Arbeit wiederholen, sondern diese ergänzen und den nicht nur in diesem Entwurf, sondern auch durch die Mitglieder der G7-Task Force und die einzelnen Arbeitsgruppen des Rates sowie andere Einrichtungen gemachten Vorschlägen die nötige politische Durchschlagskraft verleihen.
Es gibt bereits eine Reihe von parlamentarischen Untersuchungen. Im September 1986 hat das Europäische Parlament einen Bericht unter dem Titel "Das Drogenproblem in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft" veröffentlicht, der gro en Einflu auf die Drogenpolitik der Gemeinschaft und der einzelnen Mitgliedstaaten hatte. Zwar wurden in diesem Bericht auch die kriminellen Aspekte erörtert, Schwerpunkt waren jedoch die sozialen Auswirkungen des Drogenproblems, insbesondere für die Jugend.
Im März 1988 setzte das italienische Parlament (der Senat und die Abgeordnetenkammer) einen Untersuchungsausschu zum Thema Mafia und ähnliche kriminelle Vereinigungen ein. Dieser Ausschu unter der Leitung von Gerardo CHIAROMONTE soll seinen Schlu bericht im März 1992 vorlegen. Er hat bereits seine Ansichten zu einigen Schlüsselproblemen mitgeteilt und Mitglieder des Untersuchungs- ausschusses des Europäischen Parlaments hatten Gelegenheit zu einem Gespräch mit Herrn CHIAROMONTE über Bereiche von gemeinsamem Interesse.
Das Schweizer Parlament hat sich, im Rahmen einer umfassenden Untersuchung über die Kopp-Affaire, eingehend mit Drogenhandel und Geldwäscherei in der Schweiz beschäftigt.
Für die vorliegende Untersuchung konnte sich der Ausschu auf die fachkundige Hilfe vieler Einzelpersonen, Regierungs- und Nichtregierungseinrichtungen sowie internationaler Organisationen und nicht zuletzt der eigenen Mitglieder stützen. Da sich unsere Arbeit auf die kriminellen Aspekte des Drogenproblems konzentriert, möchten wir die Unterstützung durch die Suchtstoffkontrollstelle der UNO in Wien, die Interpol in Lyon sowie die nationalen Polizei- und Zollbehörden besonders hervorheben. Diese waren allerdings bei weitem nicht die einzigen Informationsquellen.
Der Ausschu richtete einen umfassenden Fragebogen an die Regierungen der Mitgliedstaaten, dessen nach Stil und Inhalt unterschiedliche Beantwortung eine wichtige Informationsquelle für den Ausschu darstellte.
EINLEITUNG
Eines der Probleme beim Versuch, das Ausma der Drogenkriminalität abzuschätzen, besteht darin, da kriminelle "Organisationen" verdeckt operieren. Auch geben sie keinen Einblick in ihre Einkommensquellen, zu denen neben Drogenhandel auch Waffenschmuggel, Erpressung, Prostitution und andere Formen der Kriminalität wie Mord, Entführung und Terrorismus gehören können. Das organisierte Verbrechen in der Gemeinschaft ist relative wenig erforscht, entsprechend gro ist die Unkenntnis seiner Ausma e; der Ausschu hat versucht, dies zu korrigieren.
Ferner gibt es die unterschiedlichsten Definitionen für den Begriff organisierte Kriminalität. Wenn auch die organisierte Kriminalität gewöhnlich mit Mafia, Cosa Nostra, Camorra, N'drangheta, den Triaden, Yardies, Jakusas oder mit dem einen oder anderen kolumbanischen Drogenkartell in Verbindung gebracht wird, müssen wir bei unserer Definition über diese gro en Verbrechersyndikate hinausgehen. Wie wir belegen werden, nimmt die organisierte Kriminalität unglücklicherweise viele Formen an, was eine eindeutige Definition erschwert.
Organisierte Kriminalität betreiben sowohl kleine, festgefügte Familienverbände als auch gro e multinationale Unternehmen, die tatsächlich in vieler Hinsicht ihren legalen Gegenstücken im Handels- und Dienstleistungssektor gleichen.
Ein vom Ausschu festgestelltes Phänomen ist die Professionalisierung der ehemaligen Kleinkriminalität. Mit anderen Worten, relativ kleine Verbrechergruppen auf Familienbasis konnten, insbesondere mit Hilfe der Informationstechnologie, ihr Tätigkeits- und Kommunikationsfeld über das in der Vergangenheit mögliche hinaus ausdehnen. Sie konnten sich somit auf einen besonderen "Marktsektor" wie beispielsweise den Transport, spezialisieren, während sie Lagerung, Stra enverkauf usw. anderen, ebenso spezialisierten, aber getrennten Organisationen überlie en. Die Organisationstypen sind so verschieden, da man von vorneherein zwischen organisierter Kriminalität als Gattungsbegriff für alle Formen organisierter krimineller Aktivität und dem institutionalisierten Verbrechen unterscheiden mu , das die gro en Verbrechersyndikate betreiben.
Das institutionalisierte Verbrechen durchdringt die moderne Industriegesellschaft in einem Ma e, das die einfache organisierte Kriminalität nicht erreicht. Der Drogenhandel, die lukrativste Form der Kriminalität, bildet die Basis für das organisierte wie das institutionalisierte Verbrechen. Dies brachte auch Präsident MITTERRAND bei der Eröffung der Pariser G7-Konferenz von Juli 1989 zum Ausdruck, als er erklärte, die grö ten Drogenhändler verfügten über eine Macht, die sich mit der Macht von Staaten messen lasse.
Das organisierte Verbrechen lie e sich wie folgt definieren oder beschreiben: Verbrechen, deren Strukturen au ergewöhnliche Bekämpfungsmethoden erfordern und die eine potentielle Gefahr nicht nur für einzelne Gemeinschaften, sondern für die ganze Nation darstellen.
Allerdings scheint sich das organisierte Verbrechen an überlieferte Verhaltensmuster zu halten, und die einzelnen Organisationen bestehen meist aus Angehörigen derselben Volksgruppe.
Gezwungenerma en sind kriminelle Vereinigungen Geheimbünde, deren Bestand von der Einhaltung eines äu erst strengen Verhaltenskodex abhängt. Verstö e werden unweigerlich mit physischer Aggression oder Vernichtung geahndet. Es überrascht nicht, da in den oft genannten kriminellen Organisationen familiäre Beziehungen eine wichtige Rolle spielen. Das trifft auf die Kray-Familie aus dem Londoner East-End der 60er Jahre genau so zu wie auf die Corleone- Familie in Sizilien, die Bonanno-Familie im New York der 60er Jahre und die türkische Musullulu-Familie. Das unter Mitgliedern einer Familie herrschende Vertrauensverhältnis macht auf den höheren Ebenen der kriminellen Organisationen Straf- oder Zwangsma nahmen meist überflüssig, obwohl auch innerfamiliäre Morde nicht unbekannt sind.
Die Auswirkungen des organisierten Verbrechens auf politische Einrichtungen und öffentliche Behörden in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften werden in diesem Bericht untersucht.
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Zwar bezieht sich der Auftrag des Ausschusses auf die organisierte Drogenkriminalität in der Gemeinschaft, doch angesichts der globalen Bedeutung dieses Problems müssen auch au ergemeinschaftliche Faktoren berücksichtigt werden.
Herstellung und Verbrauch von Drogen - Angebot und Nachfrage - sind integraler Bestandteil einer Untersuchung über die Drogenszene. Angesichts seiner Bedeutung und Komplexität mü te dieses Thema Gegenstand eines eigenen Berichts sein. Auch für den Auftrag des Ausschusses ist es von Bedeutung, kann aber nur am Rande gestreift werden, daher verweisen wir auf den STEWART-CLARK-Bericht von 1986, der sich eingehend mit dieser Problematik befa t.
Der Ausschu unterstützt die Forderung der Gemeinschaftseinrichtung CELAD, Europäischer Ausschu zur Rauschgiftbekämpfung, nach verstärkter technischer und finanzieller Unterstützung für Erzeuger- und Transitländer auf bilateraler Basis oder über den Suchtstoffkontrollfonds der UNO. Die damit verbundenen finanziellen Verpflichtungen der Gemeinschaft dienen dem Interesse der Mit- gliedstaaten genauso wie dem der Erzeuger- und Transitländer.
Desgleichen unterstützt der Ausschu das von CELAD vorgeschlagene Programm im Hinblick auf die Drogennachfrage in der Gemeinschaft und fordert die Mitgliedstaaten zu einer raschen und umfassenden Anwendung auf. Im Interesse innergemeinschaftlicher Solidarität sind Mitgliedsländer, denen es an Fachleuten oder Sachkenntnis fehlt, tatkräftig zu unterstützen.
Im Mai 1991 haben alle Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft die geänderte Fassung der Konvention von 1961 unterzeichnet, und die Europäische Gemeinschaft als solche ist der Konvention von 1988 beigetreten. Die Konvention von 1971 wurde nur von acht Mitgliedstaaten ratifiziert.
Die zur Herstellung illegaler Drogen verwendeten chemischen Vorprodukte sind in der Konvention von 1988 aufgeführt. Ferner wurde auf der Londoner Konferenz der sieben wichtigsten Industriestaaten und einem Vertreter der Europäischen Gemeinschaft (G7) vom 17. Juli 1991 die von der "Chemie-Task Force" empfohlene Aufnahme weiterer 10 Stoffe in die Liste der 12 in der Konvention von 1988 beschlossen. Diese chemischen Substanzen sind an sich nicht verboten und werden in gro em Umfang für legale Zwecke benutzt, ihr Gebrauch unterliegt aber den Vorschriften aus Artikel 12 der Konvention von 1988. Wir werden später darauf zurückkommen.
An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, da gewöhnlich zwischen weitverbreiteten und überall erhältlichen legalen Suchtmitteln wie Alkohol und Nikotin, die gleichwohl für den Verbraucher gesundheitsschädlich sein können, und den obengenannten illegalen Drogen unterschieden wird.
DAS AUSMASS DES PROBLEMS IN DER GEMEINSCHAFT
Logischer Ausgangspunkt für die Untersuchung des Ausschusses ist eine möglichst genaue Erfassung des Drogenumsatzes in der Gemeinschaft. Die beste und vielleich einzig erfolgversprechende Methode ist eine Prüfung der Angaben über Sicherstellungen von Rauschgift und seine mögliche Herkunft. Die neuesten Daten über das Ausma der Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Drogenhandel sind bei der Suchtstoffkontrollstelle der UNO in Wien erhältlich. Verlä liche Statistiken sind von der Zuverlässigkeit der Informationsquellen abhängig, daher ist es bedauerlich, da trotz der von ihnen eingegangenen Verpflichtung, Zahlen zur Verfügung zu stellen, 1989 nur 72 von 131 Ländern dieser Aufgabe nachgekommen sind.
Auch Interpol ist für ihre Mitglieder eine wertvolle Informationsquelle. Die Drogenabteilung des Generalsekretariats erstellt detaillierte Berichte und Analysen über sichergestellte Drogen. Im vorliegenden Bericht beziehen wir uns folglich auf diese beiden Informationsquellen.
Zweifellos ist Europa das bevorzugte Ziel von Drogenhändlern, die in den letzten drei Jahren hier zunehmend aktiv geworden sind und in vielen Fällen ihre Organisationen verstärkt haben. Der Zerfall des kommunistischen Blocks und die für 1993 geplante Abschaffung der Binnengrenzen in der Europäischen Gemeinschaft bilden nun den Hintergrund für diese kriminellen Aktivitäten.
Aufgrund der Beschaffenheit der Droge bleibt Heroin das grö te Problem. Allerdings scheinen die Kokainlieferungen beträchtliche Ausma e anzunehmen, denn der amerikanische Markt ist gesättigt und der europäische Kontinent verspricht grö ere Gewinne, da hier gewöhnlich höhere Preise gezahlt werden als in den USA. Auch der Handel mit Cannabis und Amphetaminen hat zugenommen. Es ist kennzeichnend, doch keineswegs repräsentativ, da am 1. November 1991 einem Zeitungsbericht zufolge 12 Männer und 1 Frau in London und im Südosten Englands nach der Entdeckung von 1,3 Tonnen Cannabisharz in einem Kühl-LkW im Ortseingang von Dover festgenommen wurden; gleichzeitig beschlagnahmten die Zollbeamten am Flughafen Charles de Gaulle in Paris 400 Pfund in Büchern verpacktes kolumbianisches Kokain - ihre bislang grö te Sicherstellung. In der gleichen Woche wurden in Belgien in einem unterirdischen Versteck 50.000 Dosen Extasy sowie die für die Herstellung weiterer 2.000.000 Dosen erforderlichen Chemikalien und Apparate gefunde
n.
Heroin
Tabelle I gibt einen Überblick über die in den letzten Jahren von Polizei und Zollbeamten sichergestellten Heroinmengen. Sicherstellungen bieten einen Anhaltspunkt für den Umfang des illegalen Drogenumschlags, dürfen allerdings nicht als absoluter, quantifizierbarer Faktor zur Ermittlung des Drogenhandels betrachtet werden. Die Graphik in Tabelle I lä t zwei Schlüsse zu: Entweder hat der Drogenhandel zugenommen oder die Strafverfolgungsbehörden hatten bei ihrer Arbeit grö ere Erfolge zu verzeichnen. Für die Berechnung der in Europa tatsächlich im Umlauf befindlichen Heroinmengen sind weitere Indikatoren nötig, darunter Schätzungen über die Heroin/Opium-Produktion sowie über die Zahl der Drogenkonsumenten.
TABELLE I
Quelle: ICPO-Interpol
Obige Zahlen belegen eindeutig einen stetig steigenden Trend. Tabelle II enthält einen detaillierteren Vergleich der aus den einzelnen Ländern an Interpol gemeldeten Sicherstellungen. Auffallend ist der starke Anstieg der Sicherstellungen in Italien, dem Vereinigten Königreich, Belgien und in der Schweiz.
Dazu ist anzumerken, da Sicherstellungen nicht unbedingt ein Ma stab für die Effizienz der Strafverfolgungsbehörden eines bestimmten Landes sind. Sie sind vielmehr das Ergebnis der "kontrollierten Lieferungen" (auf die wir später zurückkommen werden), die eine enge Zusammenarbeit zwischen den Zoll- und Polizeibehörden mehrerer Länder voraussetzen, will man die "Hintermänner" und nicht nur die kleinen Dealer festnehmen. Von entscheidender Bedeutung ist das Aufdecken der Liefersysteme und des Netzes der am organisierten Drogenhandel beteiligten Kriminellen.
TABELLE II
Quelle: ICPO-Interpol
HEROIN IN EUROPA - 1989/1990
LÄNDER/SICHERSTELLUNGEN (in kg)
Kokain
Im Gegensatz zu Heroin erzeugt der Suchtstoff Kokain keine starke körperliche Abhängigkeit. Nach allgemeiner Einschätzung wird er in Gesellschaftskreisen bevorzugt, in denen man sich die Droge leisten kann, ohne die nötigen finanziellen Mittel auf kriminellem Wege beschaffen zu müssen. Ernste Gesundheitsschäden stellen sich beim Kokainkonsum meist erst langfristig ein.
Dieses eher tröstliche Bild wurde in jüngster Zeit durch drei unterschiedliche Entwicklungen getrübt. Zum einen gibt es zunehmend Anzeichen dafür, da die Kokainkonsumenten immer jünger werden und häufig aus ohnehin benachteiligten Gesellschaftsschichten kommen. Zum anderen dient Kokain als Grundstoff für Crack - eine Droge ganz anderen, weitaus gefährlicheren Kalibers, die, drittens, häufig den späteren Konsum von Heroin nach sich zieht.
1990 wurden in Europa mehr als zwölf Tonnen Kokain sichergestellt, allem Anschein nach wird die Zahl für 1991 noch weitaus höher ausfallen. Schon die Zahlen für 1990 bedeuten eine Verdoppelung gegenüber 1989.
TABELLE III
Quelle: ICPO-Interpol
(aus Cocaine Situation in Europe 1990)
Trotzdem soll es keine Nachschubprobleme geben, auch die Preise bleiben ziemlich stabil, wenn auch von Land zu Land unterschiedlich hoch. In Spanien kostet ein Gramm Kokain beispielsweise 100 US$, in Holland dagegen liegt der Preis zwischen 55 und 70 US$ pro Gramm Kokain, das dazu einen höheren Reinheitsgrad aufweist. In Italien und der Schweiz zahlt man, je nach Reinheitsgrad, zwischen 90 und 120 US$ pro Gramm. In Dänemark, Frankreich und Luxemburg werden die höchsten Preise verlangt. Nachstehende Tabelle gibt einen genaueren Überblick über die Kokain-Sicherstellungen in den neun wichtigsten europäischen Ländern, die sichergestellten Mengen und die Anzahl der beteiligten Dealer. (Für die Interpretation der Sicherstellungen gilt der gleiche Vorbehalt wie beim Handel mit Heroin).
* Nur französisches Mutterland
Anmerkung: In den französischen überseeischen Gebieten wurden 740 kg für den Europäischen Markt bestimmtes Kokain sichergestellt.
Es wurde vielfach die Vermutung geäu ert, da sich die Drogenhändler dem europäischen Markt zuwenden würden, sobald der amerikanische Kokainmarkt gesättigt sei. Die Statistik scheint diese Vermutung zu bestätigen. Da in Europa höhere Preise zu erzielen sind als auf dem amerikanischen Markt, sind die Vermarktungsversuche der kriminellen Organisationen in Europa sicher lukrativer.
Der Anstieg des Verkaufs von Crack in der Europäischen Gemeinschaft löst bei den Gemeinden gro e Befürchtungen aus. Diese Angabe wird dadurch relativiert, da sich der Anstieg besonders auf das Vereinigte Königreich bezieht. Laut Interpol wurden seit 1986 in Europa lediglich zwei Kilo Crack sichergestellt, mehr als ein Kilogramm entfiel dabei auf eine einzige Sicherstellung in Gro britannien im letzten Jahr.
Angesichts der verheerenden Auswirkungen dieser Droge in den Vereinigten Staaten ist dies sicher kein Grund zur Selbstgefälligkeit. Hinzu kommt, da Crack auf der Basis von Kokain relativ leicht herzustellen ist. Möglicherweise haben die Sicherstellungen von Kokain zu einer leichten Einschränkung der Crackproduktion geführt.
Im November 1990 fand eine erste Konferenz der Leiter der nationalen Drogenbekämpfungsstellen Europas unter der Federführung der UNDCP (Suchtstoffkontrollstelle der UNO) in Moskau statt. Laut Angaben der französischen Delegation wurden 1990 86 % der gemeldeten Straftaten im Zusammenhang mit Drogen begangen. Nach Ansicht verschiedener Teilnehmer wird der illegale Drogenhandel in zunehmendem Ma e von internationalen Drogenhändlerringen beherrscht.
Amphetamine
Amphetamine scheinen im Norden Europas ein grö eres Problem zu sein als im Süden. Zusammen mit den skandinavischen Staaten sind Deutschland und das Vereinigte Königreich die Länder mit dem grö ten Verbrauch dieser Drogen. Das Problem ist in diesem Fall anders gelagert als bei aus Pflanzen gewonnenen Rauschgiften, denn die zur Herstellung benötigten Chemikalien sind im Lande erhältlich und müssen nicht aus anderen Ländern oder Erdteilen importiert werden. Die Vorprodukte bilden daher einen wichtigen Aspekt des Problems.
1990 wurden in Europa 389 kg, 1989 dagegen 184 kg sichergestellt.
Haupterzeugerland sind die Niederlande. Von der Gesamtmenge für 1990 wurden 134 kg in den Niederlanden hergestellt, der Rest stammt aus Belgien (16 kg), dem Vereinigten Königreich (13 kg) und Deutschland (11 kg). Auch aus Frankreich und Polen kam ein beträchtlicher Teil der sichergestellten Menge.
Obwohl Amphetamine in den Niederlanden als harte Droge gelten und der Verbrauch dort relativ gering ist, sind sie das wichtigste Erzeugerland. In den letzten zehn Jahren haben die niederländischen Behörden über 30 illegale Labors ausgehoben und Chemikalien wie Benzylmethylketon (BMK) sichergestellt. In einem der ausgehobenen Labors waren zwischen 1983 und 1989 über 9 1/2 t Amphetamine, schätzungsweise zwei Drittel der Gesamtproduktion in diesem Zeitraum, hergestellt worden. Nach niederländischen Angaben wurde die Lücke aber rasch von anderen Lieferanten gefüllt.
Offenbar nimmt die Herstellung von X.T.C (Ecstasy) an Bedeutung zu; bisher liegen Angaben über die Sicherstellung von 18 kg im Jahre 1989 vor. Neulich wurde in Paris ein gro es XTC-Labor ausgehoben.
Polen wird zunehmend zu einem Problem, da ein gro er Teil der - hauptsächlich in Deutschland - sichergestellten Drogen von dort stammen. In Deutschland werden die chemischen Rohstoffe für diese Drogen hergestellt, und nachweislich haben in Deutschland lebende Polen den Handel weitgehend unter Kontrolle. (Siehe unten - Kapitel "Organisationen")
Cannabis und Marihuana
Obwohl Cannabis weniger schädlich ist als manch andere Droge, oder gerade deshalb, werden davon weitaus mehr Mengen umgesetzt als von jedem anderen Rauschgift. In Polizeikreisen wird sogar vermutet, da mit Cannabis grö ere Gewinne erzielt werden als mit Heroin oder Kokain.
Zwischen dem Handel mit Cannabis und dem übrigen Drogenhandel besteht eine enge Beziehung, folglich wurde bei Sicherstellungen von kolumbianischem Cannabis in Rotterdam, Hamburg und Le Havre gleichzeitig auch Kokain gefunden. Dealer handeln oft gleichzeitig mit Cannabis und Kokain oder anderen Rauschgiften. Auch dieser Umstand bietet Anla zu Besorgnis, da mit weichen Drogen angelockte Personen sich schnell in einer Gesellschaft wiederfinden, in der auch härtere Drogen verfügbar sind.
1990 wurden in Europa 200 Tonnen Cannabis ohne spürbare Auswirkungen auf Nachschub oder Preis sichergestellt.
Es werden immer grö ere Einzelmengen beschlagnahmt, daher ist anzunehmen, da der Handel mit Cannabis stärker organisiert ist als früher. Portugiesische und holländische Behörden waren neulich an der Sicherstellung von 47 t für den amerikanischen Markt bestimmten Cannabis durch kanadische Stellen beteiligt. In Europa wurden 1990 bei 71 Sicherstellungen jeweils mehr als 500 kg Cannabis beschlagnahmt, während in Spanien, dem Vereinigten Königreich, Belgien und den Niederlanden Einzelmengen von über 2 Tonnen keine Seltenheit sind.
Aus den Ländern der Europäischen Gemeinschaft wurden folgende Sicherstellungen an Interpol gemeldet:
1990 1989
Niederlande 53.517 kg 15.354 kg
Spanien 51.394 kg 24.290 kg
Vereinigtes Königreich 28.657 kg 39.539 kg
Frankreich 18.124 kg 15.294 kg
Belgien 11.306 kg 9.625 kg
Italien 5.728 kg 14.510 kg
Portugal 5.471 kg 3.690 kg
Griechenland 4.896 kg 640 kg
Deutschland 3.297 kg 9.797 kg
Dänemark 932 kg 465 kg
(Da nur Sicherstellungen von über 10 kg gemeldet werden, sind Irland und Luxemburg in der Tabelle nicht aufgeführt). Irischen Quellen zufolge wurden 1990 114 kg Cannabis beschlagnahmt; 1991 (bis Oktober) waren es 897 kg, der Gro teil davon in zwei Ladungen.
Der illegale Handel mit Cannabis wächst weltweit. 1990 wurden 465 t, 1989 247 t und 1988 211 t sichergestellt. In diesem Jahr sind die Mengen bereits grö er als für das gesamte vergangene Jahr. In Afrika haben sich die Zahlen 1990 gegenüber 1989 verfünffacht, sowohl im Sudan als auch in Marokko wurden gro e Mengen sichergestellt.
Da in den USA und Kanada (den Hauptabnehmerländern) immer mehr Cannabis angebaut wird, verlagern die Dealer ihre Tätigkeit in die europäischen Länder. Die Lieferungen aus Afghanistan, Pakistan, Libanon und Marokko nach Europa nehmen ständig zu, wobei Kontainer- Frachten eine immer grö ere Rolle spielen als einzelne Kuriere.
In den Niederlanden wird in zunehmendem Ma e Cannabis in Gewächshäusern angebaut und unter dem Namen "Nederweed" ins Ausland exportiert und verkauft.
Derzeit gelangen auch kleinere Mengen von Khat, eines am Horn von Afrika (Somalia, Djibouti, Äthiopien) hergestellten Rauschgiftes, nach Europa.
VORPRODUKTE, WESENTLICHE CHEMIKALIEN UND CHEMISCHE STOFFE
So, wie man bemüht ist, die Herstellung von und den Handel mit Mohn, Kokablättern und Cannabispflanzen zu unterbinden, wird verstärkt versucht, den Verkauf und, in einigen Fällen, die Herstellung von Chemikalien zu kontrollieren, die zur Veredelung von Rohopium und Koka zu Morphium/Heroin oder Kokain nötig sind. Chemikalien dienen natürlich auch als Grundstoff zur Herstellung illegaler synthetischer Drogen wie Amphetamine, LSD, Ecstasy usw.
Die grö te Schwierigkeit besteht darin, da die überwiegende Mehrzahl der Chemikalien und chemischen Zusatzstoffe für die Herstellung von Rauschgift völlig legale, in gro en Mengen für erlaubte Zwecke produzierte Stoffe sind.
Wesentliche chemische Stoffe werden häufiger zur Herstellung normaler pharmazeutischer oder sonstiger Produkte verwendet als chemische Vorprodukte, daher werden sie häufiger verkauft als diese.
Die amerikanische Drogenbehörde definiert chemische Vorprodukte als "Chemikalien, die zur Herstellung eines kontrollierten Stoffes benutzt werden, wesentlich für dessen Entstehung sind und Bestandteil des kontrollierten Stoffes werden."
Laut Definition der DEA ist ein wesentlicher chemischer Stoff "ein Lösungsmittel, Reagenz oder Katalysator, der für die Herstellung eines kontrollierten Stoffes benötigt wird".
In der Anlage zur UNO-Konvention von 1988 sind Listen mit zwölf Stoffen enthalten, die der internationalen Überwachung und Kontrolle unterliegen sollten.
TABELLE I UND II AUS DEM UNO-ÜBEREINKOMMEN VON 1988
TABELLE I TABELLE II
Ephedrin Essigsäureanhydrid Ergometrin
Azeton Ergotamin Anthranilsäure Lysergsäure
Ethyläther 1-Phenyl-2-Propanol Phenylessigsäure Pseudoephedrin
Piperidin
Gegebenenfalls alle Salze der Gegebenenfalls alle Salze der in obiger Tabelle enthaltenen in obiger Tabelle enthaltenen Stoffe Stoffe
Angesichts der weltweiten Entwicklung nach Inkrafttreten der Konvention von 1988 hat die Gruppe der sieben wichtigsten Industriestaaten auf der Houstoner Konferenz von 1990 eine Chemische Task Force (CATF) eingerichtet, deren Abschlu bericht auf dem letzten G7-Gipfel von Juli 1991 in London verabschiedet wurde. Laut Empfehlung der CATF sollen weitere chemische Stoffe unter internationale Kontrolle gestellt werden.
ERWEITERTE LISTE CHEMISCHER STOFFE DER G7
KATEGORIE 1 KATEGORIE 2 KATEGORIE 3
Ephedrin* Essigsäureanhydrid* Azeton* Ergometrin*
Anthralinsäure* Ethyläther* Ergotamin* Phenylessigsäure*
Nethylethylketon (NEK) Lysergsäure* Piperidin*
Toluol 1-Phenyl-2-Propanol* Isosafrol Kaliumpermanganat Pseudoephedrin*
(cia+trans) Schwefelsäure N-Azetylanthralinsäure Piperonal
Salzsäure 3,4 Methylandioxy- Safrol phenyl-2-Propanol
* In den Tabellen der Anlage zur UNO-Konvention von 1988 enthaltene Stoffe
Die EG-Verordnung Nr. 3677/90 zur Durchführung der Bestimmungen des Wiener UNO-Übereinkommens von 1988 ist im Juli 1991 in Kraft getreten. Aufgrund der CATF-Empfehlungen hat die Europäische Gemeinschaft beschlossen, die Verordnung um die neue Liste kontrollierter Stoffe zu ergänzen. Derzeit wird ein Über- wachungssystem für die Herstellung und innergemeinschaftliche Vermarktung der Zusatzstoffe vom Europäischen Parlament anhand eines Berichts von Sir James Scott-Hopkins geprüft (KOM 90.597).
Die meisten der wesentlichen chemischen Stoffe und Vorprodukte sind auf dem freien Markt über die üblichen Kanäle erhältlich. Im CATF- Bericht wird beschrieben, auf welche Weise die chemischen Stoffe zur Herstellung von Drogen besorgt werden. Erwartungsgemä geschieht dies durch Diebstahl, Schmuggel, Neuverpackung und - etikettierung in Freihandelszonen und Freihäfen, Austausch von Chemikalien, Scheinfirmen, Fälschung von Warenbezeichnungen und Zollpapieren usw. Ferner ist der Besitzerwechsel nach der Lieferung eine beliebte Methode zur Verschleierung des eigentlichen Endverbrauchers. Beim sogenannten "Smurfing" lassen sich durch den Versand zahlreicher kleiner, nicht meldepflichtiger Sendungen gro e Mengen ungehindert bewegen.
Südamerikanische Hersteller in den Kokainerzeugerländern Kolumbien und Peru besorgen sich die nötigen Substanzen auf diese Weise. So wird auf dem Schwarzmarkt für ein 200-l-Fa Äther das Zehnfache des regulären Preises von 1 500 US$ bezahlt - trotzdem ein geringer Preis im Verhältnis zu den Profiten aus dem Kokainhandel. 1989 wurden in Kolumbien 650 000 Gallonen Äther, 850 000 Gallonen Azeton und 170 000 Gallonen Kaliumpermanganat sichergestellt.
Hergestellt werden die wesentlichen chemischen Stoffe und Vorprodukte in den Industriestaaten Eurpas, den USA und Japan. Die meisten Hersteller behaupten, über ein effektives Kontrollsystem für ihre Exporte zu verfügen. Ernstzunehmen sind diese Behauptungen nicht, denn europäische Chemikalien gelangen nicht nur in gro en Mengen in die heroin- und kokainerzeugenden Gebiete, auch der Irak konnte sie sich trotz offizieller gegenteiliger Versicherungen für die Herstellung von Chemiewaffen besorgen.
Die UNO ist über die UNDCP (Internationale Suchtstoffkontrollstelle) intensiv, und mit einigem Erfolg, bemüht, den Verkehr mit wesentlichen chemikalischen Stoffen und Vorprodukten zu überwachen.
Ziel der UNO-Konvention von 1988 ist es, zu verhindern, da chemische Stoffe für die unerlaubte Herstellung von Rauschgift mi braucht werden. Wer Zusatzstoffe, von denen er wei , da sie zur Erzeugung oder Herstellung von Rauschgift oder psychotropischen Stoffen benutzt werden, herstellt, befördert oder verteilt, macht sich strafbar.
Ferner verpflichtet die Konvention die Unterzeichner zur Überwachung von Herstellung und Verteilung der in der Liste aufgeführten Chemikalien und zu vorbeugenden Ma nahmen gegen die Ansammlung zu gro er Mengen.
Offensichtlich wächst die politische Bereitschaft zu einer Aufstockung der Mittel für eine effektivere Kontrolle der ständig wachsenden Liste von wesentlichen chemischen Stoffen und Vorprodukten. Solche Ma nahmen müssen in allen Ländern mit einer chemischen Industrie greifen, denn die kriminellen Organisationen betätigen sich, wie in anderen Fällen auch, bevorzugt in den Ländern mit den nachlässigsten Kontroll- und Überwachungssystemen. Firmen, deren Exportkontrollen sich (möglichst durch Sicherstellungen chemischer Stoffe) wiederholt als zu durchlässig erweisen, sollten für ihre Nachlässigkeit bestraft werden.
DROGENMISSBRAUCH
Die Zahl der illegalen Drogenkonsumenten zu ermitteln, ist eine schwierige Aufgabe. In den meisten Ländern werden in Zusammenarbeit mit der Weltgesundheitsorganisation Untersuchungen über die Verbreitung des Drogenmi brauchs und dessen gesellschaftliche Folgen durchgeführt. Abgesehen von den durch die Drogen selbst verursachten Gesundheitsschäden laufen Drogensüchtige, vor allem Heroinabhängige, wegen der gemeinsamen Benutzung von Nadeln und des Lebens am Rande der Gesellschaft mit seinem risikoreicheren Sexualverhalten viel eher Gefahr, sich mit AIDS oder Hepatitis zu infizieren.
Daten über den Drogenverbrauch sind daher als Schätzungen, nicht als absolute Werte zu verstehen. Trotz des gro en Unsicherheitsfaktors lassen die Zahlen mit einiger Sicherheit Trends erkennen. Zusammen mit anderen Angaben - z.B. über Sicherstellungen, Krankenhausbehandlungen usw. - ergeben sie ein relativ klares Bild.
Man geht davon aus, da in den vier grö ten EG-Ländern - Gro britannien, Frankreich, Deutschland und Italien - durchschnittlich 100 000 Drogenabhängige Rauschgifte (Heroin und Amphetamine) intravenös spritzen. Für die USA liegt die Zahl nach den meisten Schätzungen bei 500 000. In Griechenland soll die Zahl der Personen, die regelmä ig Drogen auf diese Weise zu sich nehmen, 40 000, in Portugal 35 000 und in den Niederlanden 20 000 betragen.
LUCKETT zitiert eine 1986 in mehreren europäischen Städten durchgeführte Untersuchung, nach der durchschnittlich 5 - 9 % der Angehörigen der Altersklasse zwischen 15 und 39 Jahren Rauschgift nimmt. An erster Stelle rangierte Amsterdam mit 20 %, an letzter Stelle Dublin mit 3 %.
Im Bericht der UNO-Suchtstoffkommission für das Jahr 1989 hei t es über Europa: "Das Injizieren von Heroin, Kokain und, in geringerem Umfang, von amphetaminartigen Stoffen und Depressiva stellt auch weiterhin ein ernstes Problem für diese Region dar. Der Mi brauch von Heroin, Cannabis und psychotropen Stoffen blieb stabil, während bei Kokain ein leichter Anstieg zu verzeichnen war."
In einigen Ländern wurde ein Anstieg des Mehrfachkonsums festgestellt. So wurde in den Niederlanden in der Altersgruppe zwischen 25 und 35 Jahren Heroin in Verbindung mit Methadon, Kokain, Benzodiazepin oder Alkohol genommen. Fünfzehn- bis zwanzigtausend junge Leute sollen von dieser Erscheinung betroffen sein.
Ein Anstieg des Heroinmi brauchs ist in Italien zu verzeichnen, wo sich 45 000 Personen wegen Heroinabhängigkeit in Behandlung befinden, 18 000 von ihnen zum ersten Mal. Die italienischen Behörden berichten auf verschiedenen parallelen Ebenen über eine Zunahme des Drogenmi brauchs - beschlagnahmte Drogenmengen, Zahl der Verhafteten, Zahl der Drogensüchtigen und Zahl der Todesfälle durch Überdosis. Die Zahlen zeigen einen "Schereneffekt" eine Annäherung des Verhältnisses zwischen weichen und harten Drogen, die eine genau erkennbare Phase des Übergangs von ersteren zu letzteren impliziert. Einem von Herrn FERRI für diesen Ausschu ausgearbeiteten Arbeitsdokument zufolge geht "aus der Analyse dieses "Schereneffekts" ... dramatisch hervor, da eben der an- fängliche Konsum von Haschisch und Marihuana fast unausweichlich zum Einstieg in Kokain und Heroin führt und da also gerade im Bereich der weichen Drogen die Ursache für einen massiveren und zunehmenden Konsum harter Drogen zu suchen ist".
In Spanien, Portugal, Belgien und Dänemark ist man übereinstimmend der Ansicht, der Heroinmi brauch sei ein zunehmend "ernstes" und "wichtiges" Problem.
Die Situation beim Mi brauch psychotroper Stoffe wird als "stabil" bezeichnet.
Die Zahl der Todesfälle durch Überdosis ist in den letzten Jahren bedeutend gestiegen. In Deutschland starben 1991 über 1.000 Personen an Heroin-Überdosis. In Italien waren ähnliche Zahlen zu verzeichnen und in allen europäischen Ländern wurde ein Anstieg registriert.
DAS NETZ DER VERBRECHERSYNDIKATE
Im letzten Jahrzehnt ist eine zunehmende Internationalisierung der organisierten Drogenkriminalität festzustellen. Aus den verschiedensten Gründen haben die Politiker nur sehr zögernd auf diese Entwicklung reagiert, daher fehlte es den Strafverfolgungsbehörden an den nötigen Mitteln für eine wirksame Bekämpfung eines organisierten Verbrechens von diesem Ausma . Mittlerweile scheint man die Warnzeichen besser zu verstehen, und da sich die Prioritäten der Au enpolitik nach dem Wandel der Ost- West-Beziehungen verlagern, sind Politiker und Regierungen eher bereit, mit vereinter Kraft gegen die Bedrohung durch internationale kriminelle Organisationen vorzugehen. Dabei liegt noch ein weiter Weg vor ihnen, wie das vorstehende Kapitel über die Sicherstellungen beweist.
Die Unterzeichnung, Ratifizierung und Anwendung des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen markiert den Wendepunkt.
Genau wie Handelsunternehmen der legalen Art unterscheiden sich kriminelle Organisationen nach Aufbau und Grö e. Vom relativ bescheidenen Familienunternehmen, das bei zusätzlicher Nachfrage mehr Arbeitskräfte einstellt, bis zum gro en Konzern, der um die effiziente Führung seiner vielen Tochterunternehmen bemüht ist, ist alles vertreten.
Das Phänomen organisiertes Verbrechen lä t sich als eine Reihe komplexer krimineller Aktivitäten beschreiben, die von Organisationen oder anderen Körperschaften hauptsächlich aus Gewinn- oder Machtstreben in gro em Stil betrieben werden. Organisierte Verbrechersyndikate versuchen häufig, zur Begrenzung des Strafverfolgungsrisikos oder zur Erleichterung der Ausweitung ihrer illegalen Geschäfte Politiker oder andere Persönlichkeiten zu korrumpieren.
Auf zahlreichen internationalen Konferenzen wurden Informationen über die Arbeitsweise der organisierten Kriminalität ausgetauscht. So wurden beispielsweise im Sommer 1990 auf dem 8. UN-Kongre über die Verhütung von Straftaten und die Behandlung von Straftätern in Kuba wirksame nationale und internationale Ma nahmen gegen das organisierte Verbrechen und gegen terroristische Anschläge erörtert.
Früher operierten kriminelle Vereinigungen von ihrer regionalen Basis aus, auf die sich gleichzeitig ihr Macht- und Einflu bereich beschränkte. Mittlerweise sind sie weniger provinziell. Die organisierte Kriminalität hat ihre Tätigkeit innerhalb der Europäischen Gemeinschaft ausgeweitet, und obwohl Italien als Mutterland des organisierten Verbrechens gelten kann - in den südlichen Regionen Sizilien, Kalabrien und Kampanien ist es seit mehr als einem Jahrhundert fest in der Gesellschaft verankert - sind fremde kriminelle Vereinigungen aus Asien, Südamerika und den USA auf dem Vormarsch. Ferner wurden Syndikate aus Osteuropa und der Sowjetunion registriert.
Mafia Vor einem Jahrhundert wurde Sizilien praktisch von der Mafia regiert, die gro en Einflu auf die Entwicklung dieser Region ausübte. Schon damals war der Schmuggel wichtigste Beschäftigung und Einkommensquelle in einem ansonsten verarmten Mezzogiorno.
In seinen Anmerkungen zu einer Untersuchung des italienischen Parlaments von 1985 behauptet Enzo FANTO, der Verfall des italienischen Staates schaffe die materiellen Voraussetzungen für den Machtzuwachs der Mafia. Die Mafia betreibe und fördere aktiv die Aushöhlung der demokratischen Institutionen und die Veränderung der verfassungsmä igen Verhältnisse einer ganzen Region. Der damalige italienische Innenminister Luigi SCALFARO verwies auf die jüngsten Entwicklungen in der Organisation der sizilianischen Mafia und den Beziehungen zu anderen kriminellen Organisationen nicht nur in Italien, sondern auch jenseits des Atlantik. Namentlich genannt wurden die vielen verschiedenen, meist miteinander verwandten Mafia-Clans wie die Clans der Corleonesi, Costa, Cariolo und Santapaola. In Syrakus waren damals drei Mafia-Clans, Belfiore, Schiavone und Urso-Cannizzaro, eindeutig in den Drogenhandel verwickelt.
Laut Professor Amato LAMBERTIS Beitrag für den Untersuchungsausschu sind in den süditalienischen Regionen Sizilien, Kalabrien und Kampanien etwa 300 kriminelle "Clans" aktiv. Nach seinen Angaben haben sich die Clans aufgrund ihrer wirtschaftlichen Stärke zu regelrechten Wirtschafts- und Finanzkonzernen entwickelt, die in den verschiedensten Bereichen von Industrie und Handel, auf dem Immobilienmarkt, im Dienstleistungssektor, in der Bau- und Lebensmittelindustrie usw. tätig sind. In der Praxis gründen die Clans eine Vielzahl von Finanzierungsgesellschaften, über die sie, kaum anders als richtige Banken, auf allen Ebenen einschlie lich der Finanzpolitik gro en Einflu ausüben. Mit ihren Geldreserven können sie in gro em Stil in den Drogenmarkt investieren und somit, nicht zuletzt durch Einführung neuartiger Suchtstoffe, den Drogenverbrauch weiter in die Höhe treiben. Ferner erlaubt das Geld weitere Investitionen in die traditionellen illegalen Geschäfte wie Schmuggel, Glücksspiel, Prostitution und die Fälsch
ung von Markenprodukten. Schlie lich, und das ist das Entscheidende, kann mit Hilfe der in den Finanzmarkt, in Bau- und Dienstleistungsunternehmen flie enden Profite aus dem Drogenhandel die Haushaltspolitik der Kommunen in den italienischen Regionen, von denen aus die betreffenden Organisationen operieren, unter Kontrolle gebracht werden. Der Drogenmarkt hat für eine au erordentliche Vermehrung der Mafia- Clans und sonstigen kriminellen Gruppierungen in ganz Italien gesorgt. In Kampanien sind in den letzten zehn Jahren aus den ursprünglich 16 Camorra-Clans 120 kriminelle Vereinigungen mit dem entsprechenden exponentiellen Anstieg der Kriminalität geworden.
1963 galt Sizilien als wichtigstes Transitgebiet für den Heroinhandel. Bis 1972 war die sizilianische Mafia mit der neapolitanischen Camorra und den korsischen Clans ein Bündnis eingegangen, das sich, mit Marseille als "French Connection", auf die Herstellung und Veredelung von Drogen konzentrierte. (Die Aufdeckung der "French Connection" Ende der siebziger Jahre hat der Mafia wegen ihrer au ergewöhnlichen Anpassungsfähigkeit an neue Gegebenheiten kaum geschadet.) Das wohldokumentierte Verhältnis zwischen der sizilianischen Mafia und der amerikanischen "Pizza- Connection" in den achtziger Jahren, an dem Salvatore AMENDOLITO, Gaetano BADALAMENTI, Giuseppe BONO, Cesare BONVENTRE und eine Reihe weiterer Mafia-Bosse beteiligt waren, lä t erkennen, welch kompli- zierten kriminellen Netze geknüpft werden. Die Aussagen des Tommaso BUSCETTA, eines zum Kronzeugen gewordenen Mafia-Bosses, im Proze gegen viele Mafia-Mitglieder nach der Aufdeckung der "Pizza- Connection" gilt als die bisher authentischste Darstellung d
er inneren Organisation der sizilianischen Mafia und ihrer amerikanischen Kontakte. Ein weiteres Beispiel für die Machen- schaften der Mafia bietet die Cutaia-Familie aus Katanien, die den Heroin-, Kokain- und Haschischhandel beherrschte und in neun Ländern auf vier Erteilen Stützpunkte eingerichtet hatte.
Aus der konservativen, "ehrenhaften" kriminellen Vereinigung Mafia der Nachkriegszeit (mit der die Alliierten beim Kampf gegen den italienischen Faschismus zusammengearbeitet haben) ist eine dynamische, aber todbringende kriminelle Institution geworden, die Macht und Einflu nicht nur auf viele Gemeinderäte und - verwaltungen, sondern auch auf höhere Stellen des Staatsapparats ausübt. Offenbar genie t die Mafia erstaunliche Handlungsfreiheit und "politische" Autonomie. Bei Kommunal- und Nationalwahlen gewährt sie bestimmten Kandidaten finanzielle Unterstützung und hat die Macht, die Wähler von der "richtigen" Entscheidung zu überzeugen. Zwar soll dieser Einflu durch die geplante Reform des italienischen Wahlrechts beschnitten werden, das Ergebnis bleibt allerdings abzuwarten.
1982 wurde das La-Torre-Gesetz gegen die Mafia verabschiedet und in Kraft gesetzt. Danach gelten in Zusammenhang mit der Mafia oder anderen kriminellen Vereinigungen begangene Vergehen als strafbare Handlung. Aus juristischer Sicht sollte es zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens beitragen, in der Praxis hat es kaum Wirkung gezeigt. Im Oktober eröffnete die italienische Regierung den Strafvollzugsbehörden weitere Möglichkeiten des Vorgehens gegen die Mafia.
Camorra
Vor der Zeit des Drogenhandels war die Camorra, das neapolitanische Gegenstück zur Mafia, ebenfalls nur eine regional begrenzte Erscheinung. Gemeinsam mit südamerikanischen Drogenhändlern kontrolliert sie derzeit einen beträchtlichen Teil des Kokain- Handels in Italien und Europa. Von Operationsbasen in Spanien aus wird Kokain in eine Reihe nordeuropäischer Staaten sowie nach Italien geliefert. Aus organisatorischen Gründen hat die Camorra die Nervenzentren der verschiedenen Clans aus Neapel und Italien verlagert. Michele ZAZA und Mario TOVANE haben sich an der französischen Riviera niedergelassen, während Ernesto BARDELLINO zwischen Santo Domingo und Brasilien hin- und herpendelt. AMMATURO operiert von Spanien, IACOLARE von Argentinien und NUVOLETTA von Deutschland aus. Neben ihrer Betätigung im Drogenhandel investieren diese Leute in die Finanzmärkte und den Produktionssektor aller dieser Länder und pflegen enge Beziehungen zum Establishment sowie zu bekannten Persönlichkeiten aus Politik und Finanzwelt.
Dem Vernehmen nach ist das legale Einkommen der Camorra aus den Investitionen mit gewaschenem Geld mittlerweile höher als die illegalen Einnahmen.
In Neapel wurden vier Stadträte als Mitglieder der Camorra verurteilt, einer wegen Drogenhandels. Ein hoher Kommunalbeamter wurde wegen der Umleitung öffentlicher Gelder an Camorra-Clans verurteilt.
Im Drogenhandel konzentrieren sich die Machenschaften der Camorra auf das Kokain-Geschäft. Nach Berichten der DEA organisiert die Camorra den Transport von wöchentlich einer Tonne Kokain aus Kolumbien. Die Mazarella-Brüder, Neffen von Michele ZAZA, stehen an der Spitze des drittgrö ten "Unternehmens" Neapels nach Alfa Romeo und dem staatlichen Stahlwerk.
Die Camorra hat mit der sizilianischen Mafia in einer Art kriminellen Arbeitsteilungsvertrag die Aufteilung des Heroin- und Kokain-Weltmarkts vereinbart. Eine gewisse Vorstellung davon, wie weit diese Organisationen ihre Fangarme ausgebreitet haben, vermittelt das Interview des Korrespondenten des Guardian mit Richter Paolo MANCUSO, der sich wie folgt äu ert:
"Die Versorgung Europas mit Drogen ist der Camorra nicht gen- ug, daher drängt sie auf den amerikanischen Markt, wo sie ins Gehege südamerikanischer Gangster kommt. Mit der sizilianis- chen Mafia hat sie die Teilung des Weltmarkts in Heroin und Kokain, in Ost und West vereinbart.
Die Camorra erzielt illegale Einnahmen aus einer Reihe von weiteren Geschäften wie der altmodischen Schutzgelderpressung, dem blühenden Schwarzmarkt, Fu balltoto und der Herstellung gefälschter "Designer"-Produkte - eine Ma nahme, die willkommene Arbeitsplätze schafft und eine Art sozialer Legitimierung darstellt.
Das legale Einkommen der Camorra stammt aus dem Baugeschäft, das sie auf allen Ebenen kontrolliert - angefangen von der Lieferung der Rohstoffe bis zum eigentlichen Bau. Die Autobahn Rom-Neapel ist voller Baustellen, denn die Baufirma, die den Auftrag erhielt (und ihn mit schäbigem jugoslawischen Zement ausführte) gehört zu einem von Lorenzo NUVOLETTA geführten Unternehmensimperium, das sich bis nach Griechenland, Libanon und Panama erstreckt.
Der Sozial- und Gesundheitsdienst wird weitgehend von der Camorra kontrolliert - eine ihrer Firmen wurde sogar mit der Reinigung des neapolitanischen Polizeihauptquartiers und der Gerichtsgebäude beauftragt. Auf Arbeiter einer nicht der Camorra gehörenden Müllfirma wurde geschossen. Die Clans haben sich in die Landwirtschaft der fruchtbaren kampanischen Ebene, in die Obst- und Fleischproduktion eingeschaltet. Das Hotel- und Fremdenverkehrsgewerbe an der sich rasch entwickelnden Küste von Kalabrien bis an die französische Grenze und darüberhinaus ist ein Vorzugsprojekt der Camorra.
Die Freizeitindustrie ist ein Magnet für kriminelle Investitionen - Diskos, Glücks- und Videospiele, die wiederum Drogenkonsumenten anziehen...
Legale Einkünfte stammen aus Investitionen innerhalb und au erhalb Italiens. Vor zwei Wochen wurde das Vermögen der Banco Scilla, einer Camorra-Bank, beschlagnahmt.
Mit Blick auf das Jahr 1992 sprechen die neapolitanischen Behörden vom "Schatten-Binnenmarkt". Laut Richter MANCUSO "überwindet der Gemeinsame Camorramarkt ... die Grenzen schneller und leichter als die offiziellen EG-Organe."
'Ndrangheta
Von ihrem Sitz in der Region Calabrien und insbesondere Reggio Calabria aus überwacht und kontrolliert die 'Ndrangheta den Heroinnachschub in die Vereinigten Staaten über die Mittelost- Route.
Sie hat ferner ihre Aktionen in Zusammenarbeit mit organisierten türkischen Gruppen nach Norditalien ausgedehnt. Die 'Ndrangheta gilt als die aggressivste in Italien operierende Gruppe; sie arbeitet eng mit den kolumbianischen Drogenkartellen zusammen, die sich mit Unterstützung der 'Ndrangheta sowohl in Spanien als auch in Italien festsetzen konnten.
Wenige waren bisher bereit, gegen die 'Ndrangheta auszusagen, die mit einer besonders starken und undurchdringlichen Familienstruktur arbeitet. Au erdem wurden nur selten gro e Drogenmengen in der Region Calabrien festgestellt. Es entsteht zunehmend der Eindruck, da die Gro städte Italiens wie Mailand (das gleichzeitig als Finanzmetropole die Geldwäsche erleichtert) mittlerweile von der 'Ndrangheta für die Abwicklung ihrer internationalen Geschäfte benutzt werden.
Yakusas
Die Ursprünge der japanischen Yakusas reichen bis ins 15. Jahrhundert zurück. In neuerer Zeit nutzte der Geheimbund seinen Einflu auf das japanische Militär während der Besetzung von Mandschurei und China zum Einstieg in den Opiumhandel. Die Yakusas kontrollierten (durch Schutzgelderpressung) die japanischen Häfen und Transporte ähnlich wie die amerikanische Mafia die New Yorker Docks kontrollierte.
Heutzutage engagieren sich die Yakusas in legalen und illegalen Finanz-, Handels- und sonstigen Transaktionen. Die jüngsten politischen und Bankenskandale stehen in engem Zusammenhang mit ihren geheimen Machenschaften. Von zwei ehemaligen japanischen Premierministern wei man, da sie Beziehungen zum Yamaguchi-gumi, einem wichtigen Yakusa-Clan, unterhielten.
Im Drogenhandel konzentrieren sie sich auf den Amphetamin-Sektor, auf "Speed", "Meth" und sonstige amphetaminartige Stoffe, obwohl es angesichts ihrer Kontrolle über die Hafenanlagen ein Leichtes für sie wäre, jedes beliebige Produkt in alle Welt zu exportieren.
Aufgrund der Verflechtung von illegalen und legalen Handels- und Finanzgeschäften sind Yakusas im Management vieler japanischer Top- Unternehmen zu finden. Die versuchte Übernahme der Paribas-Gruppe durch die Yakusas im Jahr 1986/87 konnte gerade noch vereitelt werden. Wird es angesichts der wachsenden japanischen Investitionen in Europa und den Vereinigten Staaten und der Niederlassung immer mehr japanischer Unternehmen auf dem europäischen Kontinent möglich sein, die Ausweitung des Einflu bereichs der Yakusas in Europa zu verhindern?
Neben dem oben erwähnten Yamaguchi-gumi ist einer Reihe anderer Yakusa-Clans im Drogengeschäft und in legalen wirtschaftlichen Unternehmen tätig, darunter der Inagawa-Kai, dessen Pate direkt am Finanzskandal um die Nikko- und Nomura-Wertpapiere beteiligt war. Susumu ISHII und andere Gangsterbosse unterhielten enge Beziehungen zu japanischen Banken, was sicherlich der Geldwäsche zugute kam. In Tokio ist die Yakusa-Organisation Sumiyoshi Rengo in vielen Bereichen der Kriminalität aktiv.
Zutritt zu legalen Unternehmen verschaffen sich die Yakusa-Bosse mit Hilfe der sogenannten "Sokaiya", organisierter "Aktionärs"- Gruppen, die durch Erpressung, Korruption und andere Methoden die in Japan äu erst wichtigen Gesellschafterversammlungen unter ihre Kontrolle bringen.
Für den Untersuchungsausschu sind die Yakusas deshalb von Bedeutung, weil sie leicht über legale Industrieunternehmen an Einflu gewinnen und sich in Europa festsetzen können.
Triaden
Die chinesischen Triaden gehören zu den undurchdringlichsten kriminellen Organisationen. Für europäische Fahnder ist es wegen der Sprachprobleme und des andersartigen Äu eren kaum möglich, Mitarbeiter in die Triaden einzuschleusen.
Sie operieren hauptsächlich von Hongkong und Taiwan aus. Für 1997, wenn Hongkong wieder zu China gehört, wird ein - bereits jetzt beginnender - Massenexodus von Triaden-Angehörigen nach Europa und in andere Teile der Welt, in denen sich chinesische Gemeinden gebildet haben, befürchtet.
Bisher sind Triaden-Gruppen im Vereinigten Königreich - vor allem in London, Manchester und Glasgow - und in Holland, hauptsächlich in Amsterdam, aktiv. Ihre wichtigste Einkommensquelle ist der Handel mit Heroin aus dem südostasiatischen Goldenen Dreieck. Die Geldwäsche läuft über chinesische Restaurants, Spielhallen und Videoläden, deren Besitzer oft durch Gewaltandrohung zu derartigen Dienstleistungen gezwungen werden.
Die Mitgliederzahl der Triadengruppen liegt zwischen hundert und mehreren Tausend. Jede Gruppe hat einen Geheimcode und befolgt geheime Verhaltensregeln. Nicht alle betreiben Drogenhandel, obwohl potentiell dazu in der Lage wären. Der grö ten Gruppe, der in Hongkong ansässigen San Yee On, gehören 35000 Mitglieder an. Ihre Struktur ähnelt der von Freimaurerlogen und ihr Verhalten wird von einer Art Selbsthilfe-Ethos bestimmt.
In Gro britannien wurden vier gro e Triadengruppen identifiziert, von denen die Sui Fong als die grö te und höchstentwickelte gilt. Die seit geraumer Zeit in den Niederlanden tätige 14 K, die stärker als die anderen in den Drogenhandel verwickelt zu sein scheint, wird derzeit zunehmend im Vereinigten Königreich aktiv. 14 K wurde in den vierziger Jahren von Chiang Kai-sheks Kuomintang zur Unterstützung im Kampf gegen die Kommunisten gegründet.
Daneben ist auch die Wo Sing Wo, die als die gewalttätigste der Triaden gilt, an zahlreichen kriminellen Machenschaften beteiligt, ob Drogenhandel auch dazu gehört, ist nicht bekannt. Die von Hongkong aus operierende Sun Yee On soll im Gebiet von London ein Organisationsnetz aufbauen.
Aufgrund ihrer transkontinentalen Organisation sind die Triaden auf jeder Ebene des Drogengeschäfts tätig, beim Ankauf von Mohn genau so wie bei der Herstellung von Opium und Heroin, beim Schmuggel, möglicherweise im Rahmen von Elektronikexporten, und beim Verkauf. Ihre Erfahrung beim Betrieb von Opiumhöhlen im Fernen Osten kommt ihnen für ihre Tätigkeit in den europäischen Chinatowns sehr zustatten.
Ende der siebziger Jahre wurde ein von Triadenführer Pi Yan Yee (oder Georgie Pi) organisierter Rauschgiftschmuggel von der südenglischen Küste aus, in den ein Beiboot der Königlichen Marine verwickelt war, aufgedeckt. Das hauptsächlich mit Chinesen bemannte Schiff versorgte die britische Rheinarmee regelmä ig mit Rauschgiftlieferungen.
Von den britischen Städten hat Manchester die grö te chinesische Gemeinde, die von der Wo Sing Wo beherrscht wird. Machtkämpfe der Triaden untereinander sind hier keine Seltenheit.
In London handeln die Triaden häufiger mit Drogen, hauptsächlich mit Heroin und Opium aus dem Goldenen Dreieck. Offenbar konzentrieren sich die Triaden mittlerweile auf den Gro handel und überlassen den örtlichen Markt Vertragshändlern.
In jüngster Zeit haben Mitglieder der in Holland ansässigen 14-K- Triade ihre Tätigkeit nach London ausgedehnt. Dank der Zusammenarbeit zwischen der britischen, holländischen, belgischen und luxemburgischen Polizei konnten viele vor allem in den Heroinhandel verwickelte Einzelpersonen identifiziert werden.
14 K arbeitet seit einiger Zeit gegen die wichtigste holländische Triade Tai Huen Tsai, daher wird es bald wohl zu einem offenen Machtkampf kommen, ähnlich dem, der vor Jahren zwischen anderen Triaden ausgetragen wurde.
Zum Kern der Tai Huen Tsai gehört eine Gruppe ehemaliger Rotgardisten, militärisch ausgebildeter Männer aus der Volksrepublik China. Diese Bande beherrschte bisher den Heroinhandel in Holland von der Produktion bis zum Verkauf. Sie ist auch in Arnheim, Den Haag, Eindhoven und Leeuwarden mit Nieder- lassungen vertreten und entsprechend aktiv.
Die stärkste Konkurrenz droht den Triaden von Seiten der türkischen Clans, die ihre Präsenz in den letzten Jahren verstärkt haben und nun mindestens die Hälfte des Marktes kontrollieren.
Die türkischen Clans
Wie vorstehend ausgeführt, beziehen die Triaden ihr Heroin aus Südostasien. Die türkischen Clans transportieren auf den von ihnen organisierten Routen (das gilt zum Teil auch für Pakistani-Gruppen) Heroin aus dem Gebiet des südwestasiatischen Goldenen Halbmonds, d. h. Afghanistan und Pakistan.
Das war nicht immer so. In den siebziger Jahren war die Türkei selbst ein wichtiges Opium- und Morphiumerzeugerland. Die Rohstoffe wurden auf dem Seeweg nach Marseille - der French Connection der Mafia - zur Verarbeitung zu Heroin gebracht. Die türkische Regierung unterband die Heroinproduktion an der Quelle, woraufhin der Mohn anderswo, hauptsächlich in Südwestasien, angebaut wurde.
Die strategische Lage der Türkei (auf die wir im Kapitel über die Rauschgiftrouten zurückkommen werden) auf dem Land- und Seeweg von und nach Asien macht es zu einem wichtigen Durchgangsland. Desweiteren gibt es gro e, aufstrebende türkischen Gemeinden in anderen europäischen Ländern, vor allem in den Niederlanden, Deutschland und Italien. Die über zwei Millionen ganz legal in Europa wohnenden Türken bieten einigen kriminellen Organisationen ideale Deckung nicht nur für den Drogenhandel, sondern auch für das Einschleusen illegaler Einwanderer oder den Schmuggel von für die italienische Mafia bestimmten Waffen. 1990 wurden in Europa 700 Türken wegen Drogenschmuggels festgenommen.
Mehrere - meist auf Familienbeziehungen beruhende - türkische Organisationen wurden identifiziert. Am besten bekannt (und im Rahmen der Schweizer parlamentarischen Untersuchung von November 1989 häufig erwähnt) wurde die Mussululu-Gruppe.
Ferner sind folgende Organisationen (häufig in Verbindung mit der Mafia und der 'Ndrangheta) im Drogenhandel aktiv: die Tirnovali- Familie, die Capan-Familie, die Baybassin-Familie, die Gueven Brüder, die Ekinci-Familie, die Unlu-Familie, die Sami-Hostan- Gruppe, die Canturk-Familie, die Havar Brüder, die Epguler-Familie und die Erez- und Uzun-Mehemet-Gruppe. Einige davon arbeiten auch von Ungarn aus.
Sonstige ethnische Clans
Neben diesen türkischen Familienorganisationen sind noch weitere ethnische Gruppen in den Rauschgiftschmuggel nach Europa verwickelt. Die bedeutendsten unter diesen Gruppen sind die pakistanischen Drogenbarone, die meist von den Stammesgebieten an der Nordwestgrenze Pakistans aus operieren, und zwar in Zusammenarbeit mit anderen kriminellen Gruppen in Westeuropa. Die pakistanischen Drogenbarone genossen unter dem Regime von General Zia weitgehenden Schutz. In Norwegen aufgedeckte Kriminalfälle belegen dies. Ein gewisser Hamid Hasnain war nicht nur in die Organisation des Drogenhandels verwickelt, sondern darüber hinaus Vizepräsident der Habib-Bank in Pakistan, über die Drogengeld gewaschen wurde. Hasnain wurde von einem norwegischen Gericht wegen dieser Vergehen zu 14 Jahren Gefängnis verurteilt. Ein weiterer Bankier mit Namen Anwarul Haq tätigte Geldwäschegeschäfte durch die BCCI in Dubai. Dies kam in dem Gerichtsverfahren gegen Abdul Rashid zutage, der als Angestellter der Osloer Kreditkassen Bank Dollarmi
llionen an Drogengeld nach Pakistan zurücktransferierte.
Nach der Wahl von Benazir Bhutto wurden viele weitere Fälle im Zusammenhang mit der Rolle Pakistans in der Organisation der illegalen Opium-, Morphium- und Heroinerzeugung in den Stammesgebieten an der Grenze zutage gebracht. Seit ihrem Sturz befürchtet die DEA jedoch erneut, da die Drogenbarone von gewissen Leuten innerhalb der Regierungsmehrheit im heutigen Pakistan weiterhin protegiert werden.
Im September 1991 berichtete das Französische Zentrale Rauschgiftamt (OCRTES) über die Aufdeckung eines unter pakistanischer Leitung stehenden Heroindealerrings, der Frankreich, Spanien und Gro britannien versorgte. Der Kopf der Organisation, Abdul Rezik Mallil, mit britisch-pakistanischer Doppel- staatsangehörigkeit wurde verhaftet, er war seit 1986 polizeilich gesucht worden. 10 kg Heroin wurden bei dieser Gelegenheit sichergestellt. Es ist ferner erwähnenswert, da die BCCI ursprünglich in Pakistan ansässig war und einen gro en Teil ihrer Gewinne nach Pakistan zurückgeflossen sind. In dem berühmten BCCI/Noriega-Verfahren in Florida klagte die Grand Jury den Vertreter der Bank in Miami wegen Geldwäsche an.
Auch die Verwicklung des Iran in den Drogenhandel wurde entdeckt, was im Falle der folgenden Organisationen nachgewiesen werden konnte: Ali Huseyin, Hali Cabbari und Haci Bozan - die alle im Exil in der Türkei und in Westeuropa lebten. Nicht zu vergessen sind die sehr schweren Strafen, die die iranischen Behörden über Drogenhändler verhängen.
Jugoslawische Gruppen, Bangladeshis, Sri Lankan und Tamilen übernehmen häufig eher Kurier- und Trägerdienste. In den letzten zwei Fällen waren Drogen gegen Waffengeschäfte vereinbart worden, um Waffen für den andauernden Bürgerkrieg in Sri Lanka zu beschaffen.
Nigerianische Staatsbürger sind die zahlenmä ig stärkste ethnische Gruppe, die in Europa des Drogenschmuggels, insbesondere aus dem Fernen Osten und dem Goldenen Halbmond, beschuldigt wurde.
Organisierte Motorradbanden
Neben den vielen europäischen Motorradclubs, die Rallyes und Treffen für Motorradfans organisieren, haben sich "gesetzlose" Motorradgangs gebildet, die vornehmlich vom Drogenhandel leben. Sie sind unter dem Namen "Hells Angels" bekannt (natürlich gehören nicht alle Gruppen dieses Namens dazu), der genaue Aufbau ihrer Organisation ist bis jetzt noch nicht bekannt.
Solche "gesetzlosen" Motorradgangs sind an ihren "Farben" und der häufigen Verwendung des 1%-Symbols, dem Zeichen für ihr Geschichts- und Rechtsverständnis, zu erkennen.
Sie handeln mit Haschisch, Amphetaminen und anderen psychotropen Stoffen wie LSD, Ecstasy, Angel Dust und Speed.
Im Juni 1991 wurde in Paris eine "Hells Angels" Gang mit gro en Mengen an Drogen und Waffen von der französischen Polizei verhaftet. Am 26. Juli 1991 nahmen die DNRED und die OCRTIS (siehe unten) auf dem Gelände eines Extasy-Labors eine "Gesetzlosen"-Gang fest; das Labor wurde anschlie end demontiert, gegen die Mitglieder der Gang läuft ein Strafverfahren.
Polnische Organisationen
Immer grö ere in Deutschland und anderen nordeuropäischen Ländern sichergestellte Mengen von Amphetaminen stammen aus Polen. Die zur Herstellung benötigten Grundstoffe werden in Deutschland oder Belgien besorgt. Man vermutet, da Herstellung und Verkauf von Amphetaminen und anderen synthetischen oder "Designer"-Drogen fest in der Hand von einheimischen oder in den Westen ausgewanderten Polen sind.
Einige der Fabriken in Polen sind bekannt, und bisher wurden 70 Personen wegen Drogenhandels festgenommen. Offensichtlich stellen die kriminellen Organisationen Amphetamine mit einem sehr hohen Reinheitsgrad her, was auf eine vorzügliche Ausrüstung und hochqualifizierte Chemiker schlie en lä t.
An der Herstellung und dem Verkauf von Rauschgift beteiligte kriminelle Organisationen werden auch mit anderen Vergehen wie Fälschungen, organisiertem Fahrzeugdiebstahl, Raub usw. in Verbindung gebracht. Die meisten ihrer Erzeugnisse werden über die Ostsee oder die deutsche Grenze eingeführt.
Laut Angaben der deutschen Polizei sind die in Polen operierenden kriminellen Vereinigungen hierarchisch aufgebaut und in mehrere Unterabteilungen gegliedert. Die zum Transport der Amphetamine eingesetzten Kuriere gelten bei den organisierten Verbrechersyndikaten als leicht austauschbar.
RAUSCHGIFT-HANDELSSTRASSEN
Erzeugergebiete
Heroin: Grundstoffe stammen von den Mohnplantagen des südostasiatischen Goldenen Dreiecks; aus dem südwestasiatischen Goldenen Halbmond; aus der libanesischen Bekaa-Ebene. Opium- und Morphiumbasen werden zur Veredelung in europäischen Länder (Spanien und Italien) gebracht oder in der Nähe der Mohn- oder Opiumproduktionsstätten verarbeitet. Opium wird mittlerweile auch in Mexiko für den Export in die USA erzeugt. Jahresproduktion: 400 Tonnen
Kokain: Wird hauptsächlich in Südamerika - Kolumbien, Peru und Bolivien - hergestellt und von dort in alle Welt verschickt. Jahresproduktion: 1000 Tonnen
Cannabis: Wird in Libanon, Pakistan, Afghanistan, Jamaica, Kolumbien, Marokko und Mexiko (verstärkt auch in den USA) sowie in holländischen Gewächshäusern angebaut.
In jüngster Zeit wurde entdeckt, da Cannabis-Ladungen aus den südlichen Republiken der Sowjetunion Westeuropa erreichen.
Psychotrope Stoffe, Amphetamine usw. werden mit chemischen Stoffen aus den EG-Mitgliedstaaten meist in der Gemeinschaft selbst hergestellt. Länder wie Polen beteiligen sich in zunehmendem Ma e an der unerlaubten Herstellung von Suchtstoffen.
Balkanroute
Diese bekannte Verbindung zwischen Europa und dem Mittleren und Fernen Osten wurde im Laufe der Geschichte immer wieder als Transportweg für den illegalen Drogenhandel genutzt. Heutzutage werden gro e Mengen Heroin aus Südwestasien und Libanon sowie andere Rauschgifte - vorwiegend Cannabis - aus verschiedenen Ländern des Mittleren Ostens über diese Strecke befördert. Der Anstieg der Sicherstellungen auf dieser Route scheint Befürchtungen zu bestätigen, da der Heroinhandel sich noch weiter ausdehnt.
H E R O I N - B A L K A N R O U T E
B A L K A N R O U T E
VERSCHIEDENE ROUTEN - GLEICHE BESTIMMUNGSORTE
HEROIN-SICHERSTELLUNGEN IN EUROPA 1988 - 1990 Erzeugungs- oder Beschaffungsland
Nach dem (durch eine Dürre verursachten) Rückgang der Heroinproduktion im Goldenen Dreieck Anfang der achtziger Jahre wuchs der Anteil des im Goldenen Halbmond, entlang der afghanisch- pakistanischen Grenze, erzeugten Heroins. Mit dem Erlös aus dem Rauschgifthandel wurden Waffen für den afghanischen Widerstand gegen die von Moskau gestützte Regierung in Kabul gekauft. Bis 1985 wurde das Heroin aus diesem Gebiet hauptsächlich per Schiff oder Flugzeug, als Schmuggelware im Rahmen des normalen Handelsverkehrs, nach Europa gebracht. Als Kuriere im Luftverkehr werden hauptsächlich Nigerianer eingesetzt.
Angesichts der wachsenden Mengen konzentrierte man sich mehr auf die Überlandrouten durch den Iran und die Türkei. Die Türkei gilt heut als wichtigstes Transitland für Opiate.
Der Handel findet im Frühjahr und Sommer statt, wenn das Rauschgift über die Pa höhen von Gurbulak, Kapikoy und Essendere an der türkisch-iranischen Grenze transportiert wird. Städte wie Diyarbakir, Erzurum, Gazantiep und Van sind Sammelzentren.
Auch Heroin aus Libanon kommt über Syrien in die Türkei, wenn auch gro e Mengen libanesischen Heroins über Zypern nach Europa gelangen.
Istanbul ist Hauptumschlagplatz für das für den europäischen Markt bestimmte Heroin.
Die Opiate werden von türkischen Häfen aus auf dem Seeweg über Griechenland und Italien nach Marseille gebracht, wo 1989 eine Sendung von 30 kg Heroin sichergestellt wurde. Neuerdings wird die Route von der Türkei übers Schwarze Meer nach Rumänien immer häufiger benutzt. Der Seeweg wird eher für den Transport von umfangreichen Cannabis-Lieferungen gewählt, während der dichte Lkw- und Pkw-Verkehr für den Transport von Opiaten und Heroin genutzt wird.
Der reguläre Autobahnverkehr zwischen der Türkei und Europa hat stark zugenommen. Das deutsche BKA hat für 1988 folgende Zahlen für die Balkanroute ermittelt: 4,3 Mio Pkw, 380 000 Lkw, 25 000 Motorräder und 56 000 Busse.
Häufig werden im Rahmen des internationalen Zollsystems fahrende TIR-Lastwagen (Transport International Routier), die nicht für Steuerzwecke kontrolliert werden, benutzt. 1990 wurde mehr als eine Tonne Heroin in solchen Lkw gefunden - das Rauschgift war in Geheimfächern oder unter der eigentlichen Ladung versteckt. Die Zulassung solcher Lkw und die Ausgabe von TIR-Nummernschildern sollte einer strengeren internationalen Kontrolle unterliegen. Der Zollkooperationsrat sollte um Empfehlungen zu diesem Punkt ersucht werden.
SICHERSTELLUNGEN VON HEROIN IN EUROPA -BALKANROUTE ANSTIEG
Die über die Balkanroute transportierten Heroinsendungen aus dem Goldenen Halbmond werden über zahlreiche Grenzübergänge in die Gemeinschaft gebracht, wie aus Tabelle ... hervorgeht. Angesichts der geringen finanziellen Ausstattung der Zollstellen an den Au engrenzen, die von zahlreichen Fahrzeugen passiert werden, ist es für Zoll und Polizei äu erst schwierig, das Rauschgift zu entdecken. Aber dank der kontrollierten Lieferungen und der zunehmenden Sachkenntnis der Zoll- und Polizeibeamten kommt es zu immer mehr Festnahmen und Sicherstellungen. Die Drogenhändler müssen sich ständig an die wachsende Präsenz der Strafverfolgungsbehörden anpassen.
Zur klassischen Balkanroute gibt es einige Varianten. Die bekanntesten führen vom Iran über die südliche UdSSR zur Ostsee bei Tallinn, von wo das Rauschgift nach Rotterdam und anderen europäischen Häfen verschifft wird. (Der sowjetische Innenminister erklärte kürzlich, da die Drogenkriminalität im ersten Teil des Jahres 1991 im Vergleich zum gleichen Vorjahreszeitraum um 40% zugenommen habe.)
Die Krise in Jugoslawien hat den üblichen Verkehr über den Balkan unterbrochen, so da die Ladungen weitgehend über Rumänien und Ungarn umgeleitet wurden. Zollkontrollen und Kontrollen innerhalb des Landes sind in Staaten wie Rumänien, Ungarn und der Tschechoslowakei wegen der Grenzschwierigkeiten zwischen diesen Ländern nicht sehr wirksam. Die Aufdeckung eines albanisch- jugoslawischen Drogen- und Waffenschmuggelrings hat ein weiteres Beispiel für den Einsatz von Drogen zur Finanzierung eines Krieges zu Tage gebracht. Kroatische Verbindungen zu Südamerika (eine umfangreiche Kokainladung wurde in Kroatien im August 1991 sichergestellt) deuten ebenfalls auf diese neue Entwicklung hin.
Afrika
Afrika spielt mittlerweile für die Pläne der Drogenhändler eine entscheidende Rolle. Nachdem dieser Kontinent lange keine Beachtung gefunden hatte, ist er aufgrund seiner chaotischen Verwaltung, weitverbreiteter Korruption und der trotz allem engen Beziehungen zur Europäischen Gemeinschaft zu einem idealen Transitgebiet für Heroin aus Südost- und Südwestasien und Kokain aus Südamerika geworden.
Ferner erleichterten die post-kolonialen Beziehungen vielen afrikanischen Familien den Zuzug nach Europa, insbesondere nach Gro britannien, Frankreich und Belgien. Die schon unter rassistischer Diskriminierung und wachsender Ausländerfeindlichkeit leidenden Einwanderer werden von den neuen, von Nigeria, Zaire und anderen Staaten des afrikanischen Kontinents aus operierenden Drogenbaronen skrupellos ausgenutzt. Aber auch die extreme Armut in Städten wie Lagos, Nairobi oder Kinshasa sorgt dafür, da viele Menschen für unter Umständen das Vielfache eines Jahreslohns bereit sind, das Risiko der Beförderung einiger Hundert Gramm Heroin an europäische Bestimmungsorte auf sich zu nehmen.
In einigen Ländern geht die Korruption so weit, da rauschgiftschmuggelnde Geschäftsleute und Diplomaten keine Seltenheit sind.
Nigeria, das grö te, reichste und am dichtesten bevölkerte afrikanische Land scheint am tiefsten in den Drogenhandel verstrickt zu sein. Lagos ist der wichtigste Lufttransitterminal Westafrikas. Nigerianer stellen die Drogen normalerweise nicht selbst her, können aber ohne Schwierigkeiten auf den indischen Subkontinent reisen, um dort Rauschgift für den Transport an europäische Bestimmungsorte zu übernehmen. Ende 1990 befanden sich über 2.000 Nigerianer wegen Drogenschmuggel in Haft, 1.800 davon im Vereinigten Königreich.
Der wachsende Süd-Süd-Handel und der Bildungsaustausch zwischen Nigeria und Indien bieten vorzügliche Deckung und haben sich für die nigerianischen Drogenhändler, die solche positiven Entwicklungen für ihre Zwecke mi brauchen, als äu erst nützlich erwiesen. Indien ist das Versandzentrum für Heroin aus dem Goldenen Halbmond, das für Europa (sofern es nicht über die Balkanroute geht) oder die Vereinigten Staaten bestimmt ist. Über Indien laufen auch Sendungen aus dem Goldenen Dreieck, die nicht über die Philippinen, Singapur oder Malaysia zur Westküste der USA befördert werden.
Nigerianische Verbrecherringe in Gro britannien und den Vereinigten Staaten (seit 1984 wurden in Washington und Boston nigerianische Syndikate identifiziert) sind für den Drogengro handel zuständig, sie versorgen die Zwischenhändler mit Ware zum Weiterverkauf auf der Stra e.
Die Nigerianer operieren weltweit. Da ihnen aber bekannt ist, da die internationalen Zoll- und Polizeibehörden von ihrer Existenz wissen, setzen die nigerianischen Bosse europäische oder andere Afrikaner beispielsweise aus Togo oder dem Nachbarland Kamerun mit Beziehungen zu Frankreich oder anderen europäischen Ländern als Kuriere ein.
Vor allem in Gro britannien wurden zahlreiche Nigerianer wegen Heroinhandels festgenommen. Oft wird Heroin in Kondome verpackt und sicherheitshalber verschluckt oder von hinten in den Darm gesteckt. Die Sicherstellungen von Heroinsendungen, an denen Nigerianer beteiligt waren, sind von 65 kg in 1987 auf 100 kg in 1990 gestiegen.
Afrika wird zunehmend auch in den Kokainhandel miteinbezogen. Mit der Zunahme der "Ausfuhr"stellen in Mittel- und Südamerika (siehe unten) werden beispielsweise die portugiesischsprachigen Länder Afrikas, die enge Beziehungen zu Brasilien und Portugal unterhalten, immer öfter als Transitgebiet für den Kokainhandel benutzt. Im Rahmen des ständig wachsenden Container-Verkehrs zwischen Südamerika und Afrika sollen auch immer grö ere Mengen von Kokain transportiert werden, mit deren Entdeckung die schlechtausgestatteten Zollbehörden der meisten afrikanischen Staaten überfordert sind. Jeder der zahlreichen Verbindungshäfen zwischen Afrika und Europa - auch Osteuropa - wird für den Rauschgifthandel genutzt.
Gleichzeitig werden sich aber die afrikanischen Länder des schweren Problems bewu t und bitten zunehmend um Unterstützung im Kampf gegen den Drogenhandel. Ghana, Guinea, Madagaskar, Nigeria, Senegal, Togo und Uganda haben das UNO-Übereinkommen von 1988 (im Mai 1991, zur gleichen Zeit wie die Europäische Gemeinschaft) unterzeichnet, um ihrer Einstellung Nachdruck zu verleihen und mehr Hilfe zu erhalten.
Umgekehrt ist Afrika aber auch das Opfer der mit dem Konsum und dem Handel von Rauschgift, vor allem Amphetamine und Depressiva, verbundenen Probleme, die auf unterschiedliche Weise den Weg von Europa nach Afrika finden. Das Internationale Suchtstoffkontrollamt (nun der UNDCP unterstellt) befürchtet, da auch in Afrika pharmazeutische Erzeugnisse zur Herstellung von Drogen mi braucht werden, da viele Pharmafirmen den afrikanischen Markt mit ihren Produkten überschwemmen. Die UNDCP bemüht sich nach Kräften, diese Entwicklung zu verhindern, und hat bereits die Lieferung von 100 000 t legal hergestellter psychotroper Stoffe auf den afrikanischen Markt unterbunden. Auch ist, wie in anderen rauschgifterzeugenden Ländern, mit einem wachsenden Verbrauch harter Drogen zu rechnen - vor allem da immer mehr Mohn und Koka angepflanzt wird.
In Kenia und Senegal, wo niederländische Organisationen und italienische Syndikate aktiv sein sollen, wird immer mehr Cannabis angebaut. Der dramati-sche Verfall der Preise für die meisten landwirtschaftlichen Rohstoffe und Erzeugnisse (Kaffee, Tee, Erdnüsse, Zucker usw.) ist ein Grund mehr für die afrikanischen Bauern, sich profitableren Produkten zuzuwenden. Auch an diesem Drogenverkehr sind alle afrikanischen Verbindungshäfen mit Europa beteiligt.
Die wachsende Verwicklung afrikanischer Länder in den illegalen Drogenhandel zeigt sich auch in der Verwendung des Bankensystems als Mittel für die Drogengeldwäsche. Unter Nutzung der in der Franc-Zone gebotenen Möglichkeiten, wo die Konvertibilität kein Problem darstellt, findet das Drogengeld seinen Weg in das internationale Finanzsystem. Die Dollarwirtschaft Liberias erleichtert (oder erleichterte) die Geldwäsche ebenfalls. Die Financial Action Task Force der G7 ist auf dieses Problem aufmerksam gemacht worden. Die BCCI führte Operationen in Afrika durch, wobei die DEA sogar errechnete, da die Bank die Hälfte ihres Umsatzes in Afrika machte, wo sie über 400 Zweigniederlassungen verfügt. Im August 1991 wurde berichtet, da ein Gro teil der BCCI-Kunden in der Franc-Zone Libanesen, in den englischsprachigen Ländern Inder oder Pakistanis seien.
Mittel- und Südamerika
Der Erfindungsgeist der weltweit grö ten Kokainerzeuger wächst mit der Fähigkeit der Drogenfahnder, Drogenhändler zu überführen. Für das kolumbianische Medellin- und Cali-Kartell ist Europa der grö te Abnehmer und bietet die höchsten Preise für ihre Erzeugnisse. Daher überrascht die Vielfalt der für den Kokain- und Cannabishandel mit Europa eingesetzten Mittel keineswegs.
Beide gro en kolumbianischen Kartelle haben sich zur Erleichterung des Drogenschmuggels und der Drogengeldwäsche in Europa festgesetzt. Ihre Hauptverbindungen liegen in Spanien und Italien; Versuche zur Herstellung oder Konsolidierung von Verbindungen im Vereinigten Königreich und anderen nordeuropäischen Ländern haben sich als schwieriger erwiesen. Dennoch sind derzeit 6 Fälle vor luxemburgischen Gerichten anhängig und mehrere Personen wurden der Drogengeldwäsche im Auftrag des Medellin- und des Cali Kartells angeklagt. 130 Millionen US Dollar wurden von den luxemburgischen Bankbehörden eingefroren.
Wie oben beschrieben führen die Routen der Kokainkartelle nach Europa häufig durch Afrika. Im Gegensatz zu früher, wo nur einige lateinamerikanische Staaten - die Erzeugerländer - am Drogenhandel beteiligt waren, folgen nun offensichtlich alle Länder dem Drang zum Rauschgiftexport.
Bestimmte Verbindungen, vor allem zwischen Surinam und den Niederlanden, aber auch zwischen fast allen spanischsprachigen Staaten und Spanien, sind unübersehbar. Im September 1991 bestätigte der niederländische Justizminister, da in den Drogenhandel verwickelte Kriminelle aus Surinam die niederländischen Ministerien und Lokalbehörden unterwandert hätten.
In einer neueren Untersuchung befa t sich das Institut für europäisch-lateinamerikanische Beziehungen (IRELA) mit den politischen Auswirkungen des Drogenhandels in Lateinamerika sowie der Bedeutung der "Narko-Ökonomie". Die Studie belegt unzweideutig, da es für die solide finanzierten und mit den besten Waffen ausgerüsteten lateinamerikanischen Drogenhändlerringe ein Leichtes ist, die Korrupten zu kaufen und die Ehrlichen zu terrorisieren. In Argentinien fand man erst kürzlich Beweise für diese Korruption selbst auf höchster Regierungsebene. Die gleichen Verhältnisse herrschen in Surinam, wo Terroristen sich über den Drogenhandel die Mittel für den Waffenkauf besorgen. Ein Teil des Rauschgifts gelangt über Französisch Guyana nach Frankreich, ein anderer wird auf der direkten Route Paramaribo-Amsterdam/Rotterdam - in vielen Fällen über das Gebiet der Niederländischen Antillen - transportiert.
Die vielen brasilianischen Amazonas-Häfen bieten leichten Zugang zu Portugal, dessen Zollbehörden schlecht ausgerüstet sind und das zusammen mit Griechenland und Italien die Achillesferse der europäischen Drogenbekämpfung bildet.
Auch aus der Karibik gelangen einige Kokain- und Cannabissendungen nach Europa. Nicht nur reiche Touristen betreiben "Insel-Hüpfen", für kleine Boote und Flugzeuge sind die Inseln vom mittel- und südamerikanischen Festland aus leicht zu erreichen. Geld und Drogen gehören zusammen, und einige karibische Inseln bieten sichere Anlagemöglichkeiten für die Gewinne der Drogenkartelle und - händler.
Von den Französischen Antillen nach Frankreich, von den Niederländischen Antillen in die Niederlande, von Kuba nach Luxemburg und Spanien, von Jamaica und Trinidad und Tobago nach Gro britannien - alle diese Verbindungen sind naheliegende und leicht erkennbare Drogenrouten.