B4-0515, 0526, 0530, 0534, 0540, 0548, 0553, 0555 und 0567/94
Entschlie ung zum Proze gegen kurdische Mitglieder der Gro en Türkischen Nationalversammlung
Das Europäische Parlament,
A.unter Hinweis auf seine Entschlie ungen vom 10. März, 21. April und 29. September 1994 zur Festnahme und zum Proze der türkischen Parlamentarier kurdischer Abstammung in der Türkei,
B.unter Hinweis darauf, da die Türkei dem Europarat angehört und die europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet und ratifiziert hat,
C.in der Erwägung, da die Festnahme, Inhaftierung und Verurteilung der acht Abgeordneten auf die Ausübung ihrer parlamentarischen Funktionen zurückzuführen sind und eine Einschüchterung aller Abgeordneten bedeuten, was eine offenkundige Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention darstellt,
D.in der Erwägung, da am 8. Dezember 1994 das Staatssicherheitsgericht die Anklagegründe geändert hat, aber dennoch Leyla Zana, Hatip Dicle, Ahmet Turk, Orhan Dogan und Selim Sadak zu 15 Jahren Gefängnis, Sedat Yurtdas zu 7 Jahren und 6 Monaten und Selim Sakik und Mahmut Alinak zu 3 Jahren und 6 Monaten Gefängnis verurteilt hat,
E.mit dem Hinweis, da Frau Leyla Zana schwer krank ist und da die Fortsetzung ihrer Inhaftierung unter sicherlich unhygienischen Bedingungen und ohne medizinische Versorgung einen Faktor darstellt, der bedeutend zur Verschlimmerung ihrer Krankheit beiträgt und als Mi handlung im Sinne der EMRK zu betrachten ist,
F.zutiefst besorgt, da Mehdi Zana offensichtlich in Zusammenhang mit seiner Zeugenaussage vor dem Unterausschu Menschenrechte des Europäischen Parlaments im Jahre 1992 in bezug auf Fragen der Menschenrechte im Südosten der Türkei zu einer vierjährigen Gefängnisstrafe und einer Geldstrafe von 200 Millionen Türkischen Lira verurteilt worden ist,
G.besorgt angesichts der Nachricht, da die Vorsitzenden der Menschenrechtsstiftung der Türkei (die mit Haushaltsmitteln der Union unterstützt wird) und der türkischen Menschenrechtsvereinigung, die die Abgeordneten unterstützt und gegen den Proze protestiert haben, am 19. Dezember 1994 wegen Beihilfe zum Separatismus vor dem gleichen Gericht erscheinen müssen,
H.in der Erwägung, da die Zahl der Personen, die in der Türkei festgenommen und inhaftiert werden, da sie ihre politische und gewerkschaftliche Meinung geäu ert haben, stetig zunimmt,
I.unter Hinweis darauf, da die Bombenanschläge gegen die oppositionelle Tageszeitung "Özgür Ülke" drei Menschenleben gekostet und mehrere Verletzte zur Folge hatten und kritische Berichterstattung lebensgefährlich werden lassen,
J.mit dem Hinweis, da durch die willkürliche Amtsenthebung der türkischen Abgeordneten der DEP kurdischer Abstammung mehrere Regionen des Südostteils des Landes nicht mehr in der Gro en Nationalversammlung der Türkei vertreten sind, und da diese Versammlung somit nicht mehr für das Land insgesamt repräsentativ ist,
1.verurteilt die Tatsache, da die parlamentarische Immunität der Opfer dieses politischen Prozesses aufgrund ihrer Gesinnung aufgehoben wurde;
2.verurteilt diesen gesamten Proze sowie das Urteil gegen die acht Abgeordneten der Gro en Nationalversammlung der Türkei sowie das Verbot ihrer Partei, der DEP, als anhaltende Verletzung der Grundsätze der repräsentativen und pluralistischen Demokratie in diesem Land sowie der grundlegenden Menschenrechte;
3.bekräftigt seine Solidarität mit den verurteilten Abgeordneten und fordert die Aufhebung des Urteils, die Annullierung der verhängten Strafen, die Freilassung dieser Abgeordneten und ihre Wiedereinsetzung in ihre Ämter sowie die Aufhebung des Beschlusses zur Auflösung ihrer Partei;
4.bringt seine Empörung darüber zum Ausdruck, da Faik Candan, einer der Anwälte der Verteidigung der Abgeordneten, der seit zwölf Tagen verschwunden war, tot und von Kugeln durchsiebt in Ankara wiederaufgefunden wurde;
5.beschlie t, die Tätigkeit des Gemischten Parlamentarischen Ausschusses EU-Türkei bis zur Berücksichtigung der Forderungen des Parlaments durch die Türkei weiterhin auszusetzen, ist jedoch der Überzeugung, da inoffizielle Kontakte zu türkischen Parlamentariern mit demokratischen Ansichten aufrechterhalten werden sollten;
6.beschlie t, den Rat mit einem Antrag auf unverzügliche Aussetzung der Verhandlungen über die Schaffung einer Zollunion zwischen der Türkei und der EU und infolgedessen auf Vertagung der für den 19. Dezember 1994 vorgesehenen Tagung zu befassen;
7.weist darauf hin, da das Abkommen zur Schaffung einer Zollunion mit der Türkei dem Verfahren der Zustimmung unterliegt;
8.wünscht, da der Europarat an die Türkei appelliert, damit sie einen Dialog in Gang setzt, um zu einer demokratischen Regelung für die legitimen Hoffnungen ihrer 15 Millionen kurdischer Mitbürger zu finden und somit einen Spannungs- und Kriegsherd aufzulösen, der den Frieden und die Stabilität in den Ländern der Region, aber auch in Europa bedroht;
9.fordert die Mitgliedstaaten auf, die kurdischen Flüchtlinge aus der Türkei nicht abzuschieben;
10.beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschlie ung dem Rat, der Kommission, den Mitgliedstaaten, der Gro en Nationalversammlung der Türkei und der türkischen Regierung, dem Europarat, dem Generalsekretär der Vereinten Nationen und dem Sekretariat der OSZE zu übermitteln.