A4-0022/95
Entschlie ung zum XXIII. Bericht der Kommission über die Wettbewerbspolitik
Das Europäische Parlament,
-in Kenntnis des XXIII. Berichts der Kommission über die Wettbewerbspolitik (KOM(94)0161),
-in Kenntnis der Antwort der Kommission auf seine Entschlie ung vom 8. Februar 1994 zum XXII. Bericht,
-in Kenntnis des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft, Währung und Industriepolitik sowie der Stellungnahmen des Ausschusses für Recht und Bürgerrechte und des Ausschusses für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung (A-0022/95),
A.in der Erwägung, da die Erkenntnis der spezifischen Eignung marktwirtschaftlicher Vermittlungsprozesse einen Grundpfeiler ökonomischer Rationalität darstellt und da in der Entwicklung der europäischen Integration sich immer wieder Versuche als ineffizient erwiesen haben, Marktpreise durch politisch festgesetzte oder durch Monopolpreise zu ersetzen,
B.unter Hinweis darauf, da das Beihilfeverbot gemä Artikel 92 EGV und gemä Artikel 130 EGV als eine der Bedingungen zur Schaffung eines fairen Wettbewerbs ohne Sozial-, Öko- oder Subventionsdumping zu interpretieren ist,
Das Zusammenspiel zwischen Wettbewerbspolitik und Industriepolitik
1.betrachtet die Wettbewerbspolitik und die Industriepolitik als Instrumente zur Verwirklichung der Zielvorgaben der Europäischen Union, die in Artikel 2 EGV wie folgt umrissen werden: eine harmonische und ausgewogene Entwicklung des Wirtschaftslebens innerhalb der Gemeinschaft, ein beständiges, nicht inflationäres und umweltverträgliches Wachstum, ein hoher Grad an Konvergenz der Wirtschaftsleistungen, ein hohes Beschäftigungsniveau, ein hohes Ma an sozialem Schutz, die Hebung der Lebenshaltung und der Lebensqualität, der wirtschaftliche und soziale Zusammenhalt zwischen den Mitgliedstaaten;
2.unterstreicht, da die Industriepolitik ihre Ziele auf nicht wettbewerbsverfälschende Weise verfolgen darf, und bekräftigt, da die Wettbewerbspolitik wie die Industriepolitik im Dienste der wirtschaftlichen Erfordernisse der Gemeinschaft einzusetzen sind;
3.hält im Sinne einer energischen und gleichzeitig ausgewogenen Wettbewerbspolitik eine Änderung der wichtigsten Vorschriften über die Transparenz, die Verfahrensfristen, die Rechtssicherheit und die "Überwachung" für notwendig, wobei jedoch das gegenwärtige System in seiner vertraglich festgelegten Form beibehalten werden mu ;
4.äu ert seine Besorgnis über die - vor allem bei den staatlichen Beihilfen -immer offeneren Eingriffe der Regierungen, die die der Kommission auf der Grundlage des EU-Vertrags zugewiesenen Befugnisse einschränken oder abbauen wollen; vertritt die Auffassung, da die Regierungskonferenz im Jahre 1996 dazu genutzt werden mu , um die politische Rolle der Kommission - die als einzige Institution der unmittelbaren demokratischen Kontrolle durch das Europäische Parlament unterliegt - zu verteidigen;
Struktur des Berichts
5.begrü t die neue Struktur des Berichts, einschlie lich der Aufnahme der AMDATA-Datenbank; ruft jedoch dazu auf, in den nächsten Berichten in die Erläuterungen zur Entwicklung der Konzentration und des Wettbewerbs in Europa eine begleitende Analyse aufzunehmen;
6.fordert, da in künftige Jahresberichte ein umfassender Bericht über die Funktionsweise des Kooperationsabkommens mit den Vereinigten Staaten betreffend die Anwendung der Wettbewerbsvorschriften eingefügt wird;
Europäische Wettbewerbspolitik im Jahre 1993
7.begrü t, da die Kommission 1993 in mehreren Bereichen versucht hat, mehr Wettbewerb zu gewährleisten, ohne dadurch die Ausbreitung privater Monopole zu fördern - etwa in der Telekommunikation mit ihrer gro en Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit der gesamten europäischen Industrie;
8.nimmt zustimmend zur Kenntnis, da die Kommission 1993 auch auf der internationalen Bühne tätig gewesen ist, indem sie mit den gro en Handelspartnern Japan und Vereinigte Staaten verhandelte, die Entstehung des EWR vorbereitete, Abkommen mit den mittel- und osteuropäischen Ländern geschlossen und den internationalen Rahmen mitgestaltet hat, der an die Stelle der herkömmlichen Handelsabkommen des GATT treten konnte; sieht die Notwendigkeit, da die Beseitigung der Hemmnisse im internationalen Handel künftig nicht mehr ausschlie lich das Ergebnis der Abschaffung staatlicher Behinderungen, sondern auch auf das Wettbewerbsverhalten der Unternehmen zurückzuführen sein sollte;
9.erkennt, da die GD IV der Kommission eine grö er werdende Arbeitslast zu tragen hat, und ermuntert die Kommission, Wege der Dezentralisierung bei der Anwendung der Wettbewerbsregeln zu überdenken mit dem Ziel einer sinnvollen Aufgabenverteilung zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten;
10.bringt jedoch seine Besorgnis darüber zum Ausdruck, da die Befugnisse der GD IV bezüglich gewisser Aspekte der Wettbewerbskontrolle - vor allem bei staatlichen Beihilfen - offenbar in die Hände anderer Generaldirektionen gleiten, und vertritt die Auffassung, da eine intensivere Zusammenarbeit zwischen der GD IV und anderen Generaldirektionen erforderlich ist, um eine stärkere Kohärenz und Koordinierung herbeizuführen;
Die neuen Anforderungen an die Wettbewerbspolitik
11.weist auf den beachtlichen Beitrag hin, den die Wettbewerbspolitik dank der Kontrolle der Absprachen, Fusionen und der staatlichen Beihilfen zur Verwirklichung des Binnenmarktes leistet; hält es jedoch für unerlä lich, da die Kommission so bald wie möglich auf der Grundlage der Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen - die so zu ändern ist, da sie den neuen, durch die Öffnung der Grenzen entstandenen Gegebenheiten besser gerecht wird - tätig werden kann;
12.fordert die Kommission auf, verstärkt für den Pluralismus einzutreten und von allen Instrumenten der Wettbewerbspolitik und der Fusionskontrolle Gebrauch zu machen, um Wettbewerbsverzerrungen in so wichtigen Bereichen wie den Massenmedien und den neuen Kommunikationstechnologien zu verhindern;
13.begrü t den Abschlu der Uruguay-Runde des GATT sowie die Fortschritte, die daraus im Hinblick auf die Liberalisierung des internationalen Handels resultieren sollen, und erwartet, da die WTO bald in der Lage sein wird, die immer noch akuten Probleme in Angriff zu nehmen;
14.begrü t von daher die Idee der Entwicklung eines auf Gegenseitigkeit basierenden internationalen Wettbewerbssystems und fordert die Kommission auf, Verhandlungen zum Abschlu bilateraler und multilateraler Abkommen über die Anwendung der Wettbewerbsregeln einzuleiten, beispielsweise mit der NAFTA; fordert die Europäische Kommission auf, im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) auf die Einführung internationaler Wettbewerbsregeln hinzuwirken, um Wettbewerbsbeschränkungen, Fusionen von marktbeherrschenden Unternehmen, das Entstehen oligopolistischer Strukturen und die dominante Stellung multinationaler Unternehmen auf den globalen Märkten einzudämmen und zu kontrollieren;
15.ruft die Kommission auf, möglichst rasch die letzten Hemmnisse zu beseitigen, die die reibungslose Funktionsweise des Binnenmarktes behindern, und sich für den freien Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr einzusetzen;
16.weist darauf hin, da man sich weniger Sorge um die Zukunft der Wettbewerbspolitik machen mü te, wenn sämtliche Vorschriften über den europäischen Binnenmarkt bis zum 1. Januar 1993 umgesetzt worden wären;
17.bekundet seine Genugtuung über die von der Kommission geführte Regionalpolitik und den Umstand, da allgemeine Investitionsbeihilfen nur noch für rückständige Gebiete bzw. Unternehmen, welche sich aufgrund konjunktureller Umstände in Schwierigkeiten befinden, gewährt werden; weist darauf hin, da bei den Stützungsma nahmen nur noch im Hinblick auf die Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen Ausnahmen gemacht werden;
Erweiterung des Bereichs der Wettbewerbspolitik
18.bemerkt, da die Erweiterung des Bereichs der Wettbewerbspolitik auch Ma nahmen zum Schutz der Umwelt umfa t; unterstreicht jedoch die Notwendigkeit, da die Umweltstandards in den Mitgliedstaaten nach oben hin harmonisiert werden (z.B. mit Hilfe einer Ökosteuer auf Energie), um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden;
19.vertritt die Auffassung, da nur dann ein unverfälschter Wettbewerb gewährleistet werden kann, wenn auch die sozialen Vorschriften harmonisiert werden, und glaubt, da die Ausstiegsklausel in der Sozialpolitik eine Wettbewerbsverzerrung darstellt und als solche nicht hingenommen werden kann;
20.begrü t die Unterzeichnung der Assozierungsabkommen mit zwei weiteren mittel- und osteuropäischen Ländern - Rumänien und Bulgarien (neben Polen, Ungarn, der Slowakei und der Tschechischen Republik); bemerkt, da diese Abkommen wichtige Aspekte der Wettbewerbspolitik abdecken und für eine progressive Angleichung der Gesetze dieser Länder an die EU-Wettbewerbsregeln sorgen, und schlägt vor, da die Kommission auf der Durchführung von Programmen zur Umstrukturierung und zum Kapazitätsabbau in den Industriezweigen mit Überschu produktion sowie auf dem schrittweisen Abbau der staatlichen Beihilfen nach einem Zeitplan besteht, der je nach der Situation der einzelnen Länder unterschiedlich festgelegt werden kann;
Sektorale Probleme
21.bedauert, da das 1993 durchgeführte Programm zum Abbau der Kapazitäten am Stahlmarkt gescheitert ist mit Ausnahme der Unternehmen, die öffentliche Beihilfen für Umstrukturierungsprogramme beantragt haben; äu ert sein Erstaunen darüber, da einige andere Stahlunternehmen Kapazitätserhöhungen ankündigen, und fragt sich, wie die industriepolitischen Ma nahmen der Gemeinschaft zur Regulierung des Stahlmarktes beschaffen sind;
22.unterstützt die Auffassung des Kommissars Van Miert in der Anhörung vor dem Europäischen Parlament, da die Wettbewerbspolitik kein monolithisches Gefüge sei, sondern sich fortlaufend entsprechend der Entwicklung der wirtschaftlichen, sozialen oder Umweltgegebenheiten ändere, und fordert demgemä für die Schiffahrtspolitik, da die Kommission den immer stärker globalen Charakter des Transportes über See einschlie lich des integrierten Vor- und Nachlaufes der Container anerkennt und nicht durch eine verengte Wettbewerbspolitik die europäischen Reedereien in dem harten Wettbewerb insbesondere mit denen aus dem ostasiatischen Raum in ihrer Existenz gefährdet;
23.fordert, da sich die Schaffung eines Binnenmarktes im Bereich der Energie auf eine gemeinsame Energiepolitik stützt; verweist darauf, da die Schaffung eines Binnenmarktes für Energie die Versorgungssicherheit und den von den Energieunternehmen wahrzunehmenden öffentlichen Versorgungsauftrag nicht gefährden darf;
24.macht auf das Problem der Umtauschgebühren aufmerksam, die bei grenzüberschreitenden Zahlungen zwischen den Banken anfallen und die mit den Wettbewerbsvorschriften vereinbar sein müssen; fordert die Kommission auf, eindeutig klarzustellen, wie sie die Wettbewerbsvorschriften in diesem Bereich auslegen will;
Wettbewerbspolitik und europäischer Bürger
25.fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, sich bei ihrem Vorgehen um die grö tmögliche Transparenz und Öffentlichkeit zu bemühen, damit die europäischen Bürger die Vorteile erfassen können, die sich aus dem Binnenmarkt und aus einer ernsthaften und ausgewogenen Handhabung der Wettbewerbspolitik ergeben;
26.fordert die Kommission auf, sich um ein Gleichgewicht zwischen der Zielvorgabe, den Wettbewerb auch in Branchen einzuführen, die traditionell öffentliche Dienstleistungen anbieten, und dem Erfordernis zu bemühen, solche Dienste unter Wahrung von Grundsätzen wie Gleichheit, Universalität, Kontinuität und Transparenz anzubieten;
Staatliche Beihilfen
27.billigt die Auffassung der Kommission, auch zukünftig als einzige befugt zu sein, über staatliche Beihilfen in der Union zu entscheiden; begrü t, da die Staats- bzw. Regierungschefs ebenfalls auf die Bedeutung der Anwendung der gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik im Bereich der staatlichen Beihilfen, einer im Wei buch befürworteten Strategie, hingewiesen haben;
28.fordert die Kommission auf, ihm alljährlich für jedes einzelne Land einen umfassenden Bericht über die gewährten staatlichen Beihilfen zu unterbreiten;
29.bekundet seine Besorgnis über die Anwendung des Grundsatzes, da zugunsten bestimmter Industriezweige und Unternehmen in der Europäischen Union "ein letztes Mal" öffentliche Beihilfen genehmigt werden, und macht auf das mögliche Auftreten einer Reihe von au erordentlichen internationalen Faktoren aufmerksam, die die industrielle Wettbewerbsfähigkeit der Gemeinschaft beeinträchtigen können;
30.fordert die Kommission auf, die neuen Leitlinien im Bereich der staatlichen Beihilfen im Luftverkehr, insbesondere den Grundsatz, eine Umstrukturierungsbeihilfe ein zweites Mal nur "in au ergewöhnlichen, unvorhersehbaren Fällen, die vom Willen des Unternehmens unabhängig sind (höhere Gewalt)", zu genehmigen, strikt anzuwenden;
31.sieht, da das Verhältnis zwischen öffentlichen Unternehmen und Staatsaktionären Probleme aufwerfen kann; begrü t von daher, da deswegen die Kommission 1993 eine Richtlinie zur Änderung einer früheren Richtlinie über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den jeweiligen öffentlichen Unternehmen verabschiedet hat;
Verfahren
32.begrü t die von der Kommission 1993 im Hinblick auf die Vereinfachung und Beschleunigung bestimmter Regeln getroffenen Ma nahmen; billigt den Entwurf der Kommission, der eine Änderung der obengenannten Verordnung über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen vorschlägt, die darin bestünde, die Umsatzschwelle der Unternehmen, ab der die Kommission zuständig ist, wesentlich zu senken;
33.billigt ferner den Vorschlag, die Bedingungen zu flexibilisieren, die es der Kommission gestatteten, den nationalen Behörden die Prüfung der Zusammenschlüsse zu überlassen, welche diese Schwelle erreichen, jedoch nur nationale Tragweite haben;
34.fordert die Kommission auf, die künftige Entwicklung einer europäischen Politik im Bereich der Fusionskontrolle sowie ihre Verfahren und institutionellen Aspekte eingehend zu untersuchen, indem sie ihre Erfahrungen und Standpunkte mit den einschlägigen Verbänden und Interessengruppen austauscht, und ihm anschlie end Bericht zu erstatten;
35.fordert die Kommission auf, in ihrem nächsten Bericht über die Wettbewerbspolitik über die Zielkonflikte zwischen der Wettbewerbspolitik im engeren Sinn, der Beihilfenkontrolle und den Antidumpingverfahren zu berichten und Lösungsvorschläge zu unterbreiten;
36.beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschlie ung der Kommission und dem Rat, den betreffenden Behörden in den Mitgliedstaaten und den EFTA-Staaten sowie den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten und der EFTA-Staaten zu übermitteln.