B4-0966, 0977, 0999, 1005 und 1038/95
Entschlie ung zu den Produktionsverlagerungen und den Arbeitsplatzverlusten in der Europäischen Union, insbesondere zum Fall Lee Europe in Ypern
Das Europäische Parlament,
-unter Hinweis auf die Charta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer von 1989 und das dazugehörige Aktionsprogramm,
-unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission über ein zweites mittelfristiges sozialpolitisches Aktionsprogramm (1995-1997) (KOM(95)0134),
-unter Hinweis auf Artikel 2 und Artikel 118 EGV sowie auf das Protokoll und das Abkommen über die Sozialpolitik, die dem EU-Vertrag beigefügt sind und die sich auf die Durchführung der Sozialcharta und die Förderung des sozialen Dialogs beziehen,
-unter Hinweis auf seine zahlreichen Entschlie ungen zum Sozialbereich, in denen Fragen im Zusammenhang mit willkürlichen Betriebsverlegungen sowohl innerhalb als auch nach au erhalb der Union gestellt, aber auch die Gründe für die Verlegungen analysiert und die wirtschaftlichen und sozialen Folgen für die betroffenen Regionen bewertet werden,
-unter Hinweis auf die Richtlinie 75/129/EWG, zuletzt geändert durch die Richtlinie 92/56/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen,
-unter Hinweis auf die Richtlinie 94/45/EG über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen,
-in Kenntnis der Erklärung der Regierungen der Mitgliedstaaten der OECD über die internationalen Investitionen und multinationalen Unternehmen sowie des Verhaltenskodexes der IAO,
A.in der Erwägung, da die Rechte der Arbeitnehmer in der Europäischen Union immer stärker gefährdet sind, insbesondere das Grundrecht auf Arbeit und der Schutz der Gewerkschaftsrechte,
B.zutiefst besorgt über die Ankündigung von Sozialplänen in Verbindung mit Entlassungen durch zahlreiche Unternehmen in der Europäischen Union und über die enorme Zunahme von Unternehmensverlagerungen mit entsprechenden Arbeitsplatzverlusten,
C.in der Erwägung, da es zu den grundlegenden Rechten der Arbeitnehmer gehört, da sie über die Unternehmenspolitik ihres Betriebes informiert und dazu konsultiert werden,
D.in Kenntnis der wachsenden Zahl der Beschlüsse über die Verlagerung und Schlie ung von Niederlassungen transnationaler Unternehmen, wobei ein Grund die Gewinnmaximierung auf Kosten der lokalen Beschäftigungslage sein kann, und die u.a. auf die gro en Unterschiede bei Investitionsbeihilfen und anderen Beihilfen sowohl zwischen den Regionen als auch auf der Ebene der Mitgliedstaaten zurückzuführen sind,
E.in der Erwägung, da eine gro e Zahl derartiger Beschlüsse auf der Ebene der Mutterunternehmen ohne Beratungen mit der Geschäftsleitung, den Betriebsräten und den Gewerkschaften gefa t werden, was einen Versto gegen die Sozialcharta, das Sozialprotokoll und die Richtlinie 94/45/EG sowie gegen die Verhaltenskodizes der OECD und der IAO darstellt,
F.insbesondere beunruhigt über die Schlie ung von Unternehmen wie der Niederlassung von Lee Europe in Ypern, der Tochtergesellschaft des amerikanischen Jeansherstellers mit Sitz in Pennsylvania, durch die 480 Arbeitnehmer von einem Tag zum anderen auf der Stra e stehen, und die - durch 12 Mio. Punt an irischen Beihilfen ausgelöste - Verlagerung von Lufthansa-Technik nach Shannon, und zwar auf Kosten von 300 Arbeitnehmern und mehrerer Millionen DM bereits ausgezahlter Sanierungsbeihilfen,
G.in der Erwägung, da ähnliche Beschlüsse mehrerer Industriekonzerne zur Verlagerung der Produktion in andere Länder zu einer umfassenden Freisetzung von Arbeitskräften, insbesondere in den Sektoren Textil und Bekleidung, Elektronik, Schuhe und Kraftfahrzeuge sowie auch im Dienstleistungssektor, geführt haben,
H.mit dem Hinweis, da Lee Europe in Ypern nicht mit Verlust arbeitete, sondern in den vergangenen zwei Jahren gut 200 Millionen BF Gewinn einbrachte, da der Schlie ungsbeschlu jedoch auf den Einflu externer wirtschaftlicher Faktoren ("Delokalisation") zurückgeht,
1.bringt seine umfassende Solidarität mit den 480 von der Entlassung bedrohten Arbeitnehmern zum Ausdruck, die durch die Schlie ung des Betriebs arbeitslos werden;
2.ist besorgt angesichts der massiven Arbeitsplatzverluste in der europäischen Textilindustrie, von denen beispielsweise in Belgien innerhalb von 20 Jahren gut 50.000 Arbeitsplätze betroffen waren;
3.hält es für unvertretbar, da ein transnationales Unternehmen 480 Arbeitnehmer ohne vorausgehende Anhörung schlicht und einfach auf die Stra e setzen kann;
4.bekräftigt seinen Wunsch, da in die internationalen Übereinkommen und im Rahmen der Welthandelsorganisation Sozialklauseln eingefügt werden;
5.weist darauf hin, da der Beschlu von Lee gegen die internationalen Verhaltenskodizes der IAO und der OECD verstö t;
6.ersucht die Kommission nachdrücklich, die in seiner Entschlie ung vom 27. Oktober 1994 zur Beschäftigungslage und den sozialen Rechten in der Europäischen Union vorgebrachte Forderung, eine Übersicht über alle Betriebsverlegungen seit 1. Januar 1993 sowie eine Analyse der Gründe für die Verlegung und eine Bewertung der wirtschaftlichen und sozialen Folgen für die betroffenen Regionen vorzulegen, endlich zu erfüllen;
7.ruft die Unternehmen dazu auf, ihre Arbeitnehmer zu unterrichten, bevor sie eine Umstrukturierung vornehmen;
8.fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, bei gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen darauf zu dringen, da diese ohne Unterrichtung und Konsultierung der Arbeitnehmer bzw. ohne glaubwürdiges Umschulungsprogramm im Sinne der obengenannten Richtlinie 94/45/EG keine Beschlüsse fassen, die beschäftigungspolitisch nachteilige Folgen mit sich bringen;
9.fordert die Kommission auf, Unternehmen, die sich nicht an die in Ziffer 8 genannten Verpflichtungen halten und/oder Investitionsbeihilfen mi brauchen, von der Gewährung von Beihilfen aus Gemeinschaftsprogrammen auszuschlie en;
10.fordert die Kommission auf, die Gewerkschaftsorganisationen und Betriebsräte über die den Unternehmen aus den Strukturfonds gewährten Beihilfen zu unterrichten;
11.fordert die Kommission auf, eine institutionelle Basis für den sozialen Dialog über den Strukturwandel und seine Folgen in der europäischen Textilindustrie und anderen betroffenen Industriezweigen zu entwickeln sowie Lösungsvorschläge zu unterbreiten;
12.fordert die Kommission auf, einen Vorschlag für eine Richtlinie über die Informations-, Konsultations- und Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer in Betrieben mit mehr als 50 Arbeitnehmern vorzulegen, damit die Arbeitnehmerrechte besser gewahrt werden können und nicht wie im Fall Lee Europe die Arbeitnehmer von einer plötzlichen Betriebsschlie ung überrascht werden;
13.fordert die Kommission auf zu prüfen, welche Arten sowohl nationaler als auch gemeinschaftlicher Beihilfen die betroffenen Unternehmen erhalten haben, und mittelfristig Vorschläge gegen alle Arten von "Subventionsshopping" in der Union auszuarbeiten;
14.fordert die europäischen Behörden und die Regierungen der Mitgliedstaaten auf, wirksamer das Sozialdumping zu bekämpfen, das eine echte Wettbewerbsverzerrung darstellt;
15.nimmt die bisherigen Boykottinitiativen gegen Lee Europe mit Sympathie zur Kenntnis;
16.beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschlie ung der Kommission, dem Rat, den Parlamenten der Mitgliedstaaten und den Sozialpartnern zu übermitteln.