Berndt Georg Thamm(Frankfurter Rundschau, 31 Juli 1989)
Ein Wechsel zur staatlich kontrollierten Freigabe von Drogen ist nötig
Den 26. Juni 1989 hatten die Vereinten Nationen zum "Weltdrogentag" erklärt. Wenige Tage später wies UN-General-Sekretär Perez de Cuellar auf seiner jährlichen Pressekonferenz in Genf darauf hin, da der Weltorganisation insgesamt 700 Millionen Dollar fehlen, ausstehende Beiträge der Mitgliedsländer. Mit fast 500 Millionen Rückstände sind die USA der grö te Schuldner. Es sind dieselben USA, die den Drogen den Krieg ("War on Drugs") erklärt haben. Zum Drogenkriegsminister Präsident Bushs wurde der "Drogen-Zar" William Bennett berufen, der als Chef des "Office of National Drug Control Policy" die landesweiten Anti-Drogen-Kampagnen koordiniert.
Was ist daran bemerkenswert? Nun, es ist der gravierende Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Noch im März teilte Au enminister Baker im US-Kongre seine und Bushs tiefe Beunruhigung über die Situation mit: "Weder in den USA noch im Ausland ist ein Sieg im Drogenkrieg abzusehen." Mich beunruhigt hingegen die Vorstellung, da der Kampf gegen die Drogen zum Selbstzweck werden könnte. Zu gro sind doch die Unterschiede zwischen den "Kriegsparteien". Zum Beispiel. Die Organisation der Vereinten Nationen hat einen Jahrestat von 775 Millionen Dollar. Das organisierte Verbrechen setzt zur gleichen Zeit im illegalen Drogengeschäft weltweit im Jahr das Vier- bis Sechshundertfache (!) um - geschätzte 300 bis 500 Milliarden Dollar.
Diese gewaltige Summe entspricht in etwa einem Drittel der Gesamtverschuldung der Länder der Dritten Welt oder dem zehnfachen Jahresumsatz des dritt-grö ten Chemiemultis der Welt: "Bayer". Es ist jedoch nicht nur diese Umsatzdimension der ins industrielle Stadium getretenen Verbrechensmultis, die erschrekt. Es ist vielmehr die Summe der Umsätze, die das Verbrechen in den vergangenen zwei Jahrzehnten gemacht hat, allein in den 80er Jahren warscheinlich mehr als zwei Billionen Dollar. In Jahren sind Hunderte von Milliarden rings um den Erdball in ungezählten "Geldwaschanlagen" legalisiert worden.
Was ist mit diesen Geldern passiert? Ein Teil wurde und wird für die Finanzierung von Folgegeschäften, insbesondere Drogen- geschäften benötigt. Ein wohl grö erer Teil wurde und wird gewinnbringend angelegt: in Immobilien im In- und Ausland, in Wertpapieren und Sachwerten. Doch die grö ere Bedrohung, auch oder gerade für demokratische Staaten, war und ist die Investition des organisierten Verbrechens in legale Wirtschaftunternehmen. Bevorzugte Branchen der Verbrechenswelt sind hier Dienstleitungsbetriebe, Einzelhandel, Vermittlungsgewerbe, Kfz- und Vergnügungsbranche. Nicht zu vergessen die traditionellen Bereiche Bauunternehmen und Schrotthandel.
Nach jahrelange Anlagepolitik des organisierten Verbrechens mu man zum Ende diese Jahrzehnts nun fragen - überspitzt formuliert - wem was gehört? Sind bereits Teile des Gaststättengewerbes, der Künstler und Konzertagenturen, des Gebrauchtwagenhandels, der Versicherungsmakelei, des Schmuk & Gold & Diamantenhandels, der Unterhaltungselektronik, der Speditionen, der Schifffahrtsagenturen, der Hotels, Banken und vieles andere mehr in den Händen beziehungsweise unter Kontrolle des organisierten Verbrechens oder nicht?
Mir scheint, da die Bürgerwelt der Verbrechenswelt bedrohlich nahe gekommen ist, die Wirtschaft in nicht wenigen Einzelfällen flie end in die Wirtschaftskriminalität übergeht. Wohl erst das verbotene Drogengeschäft hat die Entwicklung des organisierten Verbrechens zur Wirtschaftsmacht ermöglicht. Mittlerweile haben die Kapitalpotenz und das Gewaltmonopol die Waffe des Korrumpierens so scharf geschliffen, da es dagegen keine gleichwertige Abwehrwaffe gibt.
Exponiert in der Rauschgiftbekämpfung über Generationen ist die Polizei. Doch gerade für sie ist die Abwehr unübersichtlich geworden. Die Drogenverbotspolitik hat zu einem Mehrfrontenkrieg geführt. Einerseits sind Millionen von Coca & Hanf & Mohnbauern mit ihren Familien und Hunderttausende im organisierten Verbrechen und andererseits Millionen von Heroin & Kokain & Crack & Amphetaminsüchtigen zum "polizeilichen Gegenüber" geworden, vom Millionenheer der Marihuana- & Haschischraucher einmal ganz abgesehen. Das Rausgiftgeschäft, früher Domäne des Verbrechens, ist ob seiner Gewinnträchtigkeit inzwischen für viele Gruppen eine lukratieve Einnahmequelle. Aus ihr speisen sich seit Jahren "Narco-Terroristen", Guerilla-Corps, ja ganze Bürgerkriegsarmeen.
In nicht wenigen Ländern sind Drogen zur Währung für Waffekäufe geworden, hohe Offiziere am Rauschgifthandel beteiligt und selbst Nachrichtendienste "aus übergeordneten Interessen" jenseits des Strafrechtes tätig. Die heutigen Dimensionen der Weltdrogen- situation überfordert jede nationale Abwehrstrategie. Für internationale Drogengesamtstrategien ist Europa zum Testfeld geworden. Mit der Realisierung des Binnenmarktes der zwölf Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft 1993 bedarf es eines gemeinsamen Konzeptes der Rauschgiftabwehr an den Au engrenzen der Gemeinschaft. Mit dem Wegfall der Kontrollen an den Binnengrenzen wird eine Drogenüberschwemmung befürchtet.
Warum eigentlich? Heute noch gibt es die Grenzkontrollen und trotzdem gelangen 90 bis 97 Prozent aller eingeschmuggelten Drogen auch an die Verbraucher im Inland. Die von den Strafverfolgungs- behörden beschlagnahmten 3 bis 10 Prozent haben noch nie zu Versorgungsengpässen geführt. Nach wie vor werden jährlich in Westeuropa 1 bis 1,5 Millionen Heroin- und ungezählte Kokainkonsumenten mit rund 65 Tonnen "harter" Drogen und bis über 15 Millionen Cannabiskonsumenten mit gut 3500 Tonnen Haschisch versorgt. Europa ist zu einem der grö ten geschlossenen Drogenverbrauchermärkte der Welt geworden, und das Jahre vor dem Binnenmarkt.
Obwohl für die 90er Jahre noch Schlimmeres befürchtet wird, verfolgt die Völkergemeinschaft nach wie vor die Politik des Drogenverbots und setzt auf erweitete repressive Abwehrma nahmen, beispielsweide polizeiliche "Drogen--Attachés" (= Rauschgift- verbindungsbeamte) an den Botschaften in Drogenerzeugländern, verfeinerte verdeckte Ermittlung und Abschöpfung illegaler Vermögenswerte. Doch stimmen überhaupt noch die Voraussetzungen, unter denen die Drogen mit der "Genfer Konvention" 1925 und der "Single Convention on Narcotic Drugs" 1961 einst international geächtet wurden?
Im letzten Vierteljahrhundert hat sich die Drogenweltsituation gravierend geändert, und ich meine, es bedarf künftig anderer drogenpolitischer Antworten auf die ungelöste Drogenfrage. Seit Jahrtausenden geht der Mensch mit Drogen um, drogenfreie Zeiten hat es nie gegeben. Seit Jahrhunderten gibt es weltweite Drogenmi brauchswelle, die zur Verbreitung der Alkohol & Tabak & Opiumsucht geführt haben. Die Verbreitung kannte und kennt keine Grenzen.
Von der Drogenproblematik sind heute die hochindustrialisierten reichen Länder und die armen Länder der Dritten Welt betroffen. Weder die Staatsformen der Demokratie und des Sozialismus, noch die Religionen der Christen, Moslems, Buddhisten und Hinduisten erweisen sich als Bollwerke gegen den Drogenmi brauch. Sowohl in Friedenszeiten als auch in (Bürger)kriegszeiten trat und tritt die Sucht auf.
Eine Null-Lösung scheint es in der Drogenfrage nicht zu geben. Beklagenswert sind die Folgen des Mi brauchs, eben die Drogenabhängigkeit, die Sucht. Bedrohlicher sind jedoch mittlerweile die Folgen der Drogenverbotspolitik. So ist die Drogenprohibition für das organisierte Verbrechen zum Garanten höchster Profite geworden. Die Süchtigen, durch Kriminalität und HIV-Infektion stigmatisiert, werden zunehmend gesellschaftlich ausgegrenzt und drohen sozial zu verelenden. Die Beschaffungs- kriminalität der Süchtigen trifft Bürger mit Einbrüchen, Diebstählen, Überfällen und vieles andere mehr direkt, belastet die Gesellschaften jährlich mit ungezählten Milliarden. Auch bei weiterer Aufrüstung im Drogenkrieg wird sich an dieser Entwicklung nichts ändern - im Gegenteil, die Schere wird immer weiter auseinanderklaffen: das Verbrechen wird noch reicher und mächtiger, die Beschaffungskriminalität wird noch härter und die Süchtigen werden weiter ausgegrenzt.
Darüber hinaus werden möglicherweise, um das Verbrechen effektiv zu bekämpfen, Bürgerrechte eingeschränkt. So setzt in der Bundesrepublik die politisch gewollte "Abschöpfung illegaler Vermögenswerte" die Beweisumkehr voraus, das hei t, die Beweislast liegt dann beim Tatverdächtigen. Polizeiliche hard-liner setzen auch auf die Verstärkung des "Lauschangriffs" ( Telefon- überwachung). Doch eine Drogenpolitik, die diesen Entwicklungen den Weg bahnt, halte ich für nicht verantwortbar. Wenn ein Staat wie die Bundesrepublik es zulä t, da in einem Jahr rund 900 000 Kinder bis aum 14. Lebensjahr Psychopharmaka verordnet bekommen und andererseits Hunderttausende Konsumenten illegaler Drogen vom Strafrecht bedroht sind, wird er ob dieser Doppelmoral unglaubwürdig.
Wir brauchen keine Ächtung durch das Strafrect, wir brauchen eine "soziale Intoleranz" gegenüber den Drogen, die Teil unserer Erziehung werden mu . Doch Einstellungsänderungen in der Bevölkerung werden selten durch die "Bevormundung des Staates" initiiert. Um hier Grundlagen für Änderungen zu schaffen, bedarf es eines Wechsels von der Drogenverbotspolitik zur staatlich kontrollierten Freigabepolitik, von der Prohibition zur Anti-Prohibition. Eine Liberalisierung der Drogenpolitik könnte schon für die 90er Jahre die Weichen stelle..
Süchtige, ob Alkohol oder Heroin, sind in erster Linie Abhängigkeitskranke und keine Straftäter. Eine Drogenpolitische Liberalisierung würde der "Zwei-Klassen-Sucht-Gesellschaft" entgegenwirken. Eine spätere Drogenfreigabe (Legalisierung) wäre nach meiner Auffassung eine effektive "wirtschaftspolitische Waffe" gegen das organisierte Verbrechen, weit wirksamer als das Instrumentarium der "Abschöpfung illegaler Vermögenswerte".
Eine Drogenfreigabe würde auch, dies ist wohl unbestritten, zu einer drastischen Reduzierung der Beschaffungskriminalität führen. Doch diese grundlegenden Änderungen der Drogenpolitik sind nicht im Alleingang einzelner Staaten zu realisieren, sondern nur international. Hat die Völkergemeinschaft einst die Drogen geächtet, mu sie nun diese Ächtung wieder aufheben. Die Chancen zur Abrüstung im Drogenweltkrieg sind gegeben. Im Interesse der Menschen sollten sie genutzt werden.