Wenn eine bestimmte Nationalsprache, wie das Englische, zur beherrschenden Welthilfssprache aufsteigt, dann verschlingt sie zwangsläufig alle anderen Sprachen und zersetzt ethnische Besonderheiten: wie das Latein im Altertum, zerstört sie im Verlauf weniger Generationen andere Sprachen und Kulturen.
Nur eine erfundene Sprache hat, weil sie niemandes Muttersprache ist, diese zerstörerische Wirkung nicht: das zeigt wiederum das Latein, das, als es zur toten Sprache wurde, die freie Entwicklung der neulateinischen Sprachen ermöglichte, obwohl es jahrhundertelang für ganz Europa die Sprache der Kultur (und nicht nur Hilfssprache) blieb.
Hier liegen die Gründe, die für das Esperanto als Universalsprache sprechen: seine Struktureigenschaften nähern es ebenso den flexionslosen wie den flektierenden Sprachen an. Daher rührt die Sympathie, derer es sich in Japan und sogar in China erfreut, wo sogar eine Zeitschrift in dieser Sprache herausgegeben wird, "La popola Cinio".
Aber sprachliche Vorherrschaft ist nichts anderes als der Reflex tatsächlicher politischer Vorherrschaft. Es genügt darum nicht, die Vorzüge des Esperanto zu beteuern und die "sprachverschmutzenden" Wirkungen des Englischen zu verurteilen, um dieses damit schon in seiner Funktion als tatsächliche Welthilfssprache ersetzen zu können. Denn diese Tatsache ist eine Folge des politischen, wirtschaftlichen, militärischen und kulturellen Gewichts der englischsprechenden Länder. Es mu eine politische Kraft geschaffen werden, deren Stärke und Gewicht derjenigen der angelsächsischen Welt wenn nicht ebenbürtig, so doch wenigstens vergleichbar ist. Au erdem mu sie, aufgrund ihres Selbstverständnisses und, wenn wir es so ausdrücken dürfen, aufgrund ihrer tiefempfundenen kulturellen "Staatsraison", ihre Berufung, ihre klare und dauerhafte Pflicht darin sehen, sich der Vorherrschaft des Englischen und der daraus hervorgehenden Bedrohung für alle anderen Sprachen zu widersetzen.
Daher die Bedeutung, die wir der Schaffung der Europäischen Föderation zu diesem Zweck beimessen: Sie dient nämlich einem Ziel, das schon jetzt nicht nur den alten Kontinent Europa, sondern die ganze Welt interessieren kann und mu .
Allerdings scheint die Europäische Föderation nicht schon morgen Wirklichkeit zu werden.
Daher ist ein Zwischenschritt notwendig, den wir die Etappe des didaktischen Esperanto nennen wollen.
In Deutschland hat das Institut für linguistische Kybernetik an der Universität Paderborn mit Hilfe streng wissenschaftlicher Methoden endgültig bewiesen, was von verschiedenen Forschern der Sprachwissenschaft und Vergleichenden Linguistik empirisch längst festgestellt wurde: Das Esperanto hat wegen seiner Einfachheit und Regelmä igkeit eine bedeutende propädeutische Funktion im Fremdsprachenunterricht. Nach zwei Jahren Unterricht in dieser Sprache und nach zwei weiteren Jahren, in denen sie, sagen wir, Englisch, Französisch oder andere Sprachen erlernen, haben Kinder ihre Altersgenossen, die von Anfang an nur in einer der obengenannten Sprachen unterrichtet wurden, erreicht und überflügelt.
Der erste Schritt ist also die Übernahme dieser Lehrmethode, die sich natürlich problemlos mit allen anderen Methoden der modernen Fremdsprachendidaktik verbinden lä t. Auf diese Weise öffnet sich
der Zugang zur weiten Verbreitung des Esperanto: nicht mehr nur als Hilfsmittel zum Fremdsprachenerwerb, sondern als Selbstzweck, als europäische und als lingua franca der Welt, und als solche
offiziell angenommen.
Dieses letzte Ziel mu immer wieder bekräftigt werden, ebenso wie auch die Gefahren betont werden müssen, die bestehen, solange dieses Ziel noch nicht erreicht ist. Denn die Notwendigkeit einer einheitlichen Hilfssprache für den ganzen Planeten wächst und eine solche mu unbedingt geschaffen werden. Aber jener erste Schritt wird sich schwerlich überspringen lassen.
Andrea Chiti Batelli
Föderalist und Esperantist